Die feierliche Preisverleihung an Radka Denemarková und ihre Übersetzerin Eva Profousová fand am 3. April 2011 im Atelier Otto-Niemeyer-Holstein auf der Insel Usedom statt.
► zur dankesrede von radka denemarková
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
Als ich keine Zwanzig war und noch in Prag lebte, hat mich die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen fasziniert: die Weltoffenheit und Sprachgewandtheit der 1. Tschechoslowakischen Republik, die sich in Geschichten über die damalige Avantgarde widerspiegelten, in Geschichten über Künstler und Literaten, die im Prager Café Slavia zusammenkamen, Zeitungen aus der ganzen Welt lasen und französische, englische oder deutsche Neuerscheinungen diskutierten. Karel Teige, einer der bedeutendsten Kulturtheoretiker jener Zeit, soll sogar aus dem Stegreif – bequem in einem Cafésessel sitzend (und womöglich am Absinth nippend) – ganze Romane übersetzt haben. Wie gerne hätte ich es auch gekonnt!
Vielleicht war das einer der Gründe, die mich 1983 in den Westen führten. Die eher spärliche Hamburger Caféhauskultur ließ den Traum von einst allmählich verblassen – dafür fing ich an, mich für Grenzlandschaften zu interessieren. Für Landstriche, deren Völker und Sprachen von keinem hermetisch dichten Eisernen Vorhang abgeriegelt, sondern von einem Fluß oder Bergkamm getrennt wurden: das Elsaß, die Tessiner Schweiz oder das Südtirol. Mich faszinierten die Momente, wenn je nach Kontext oder Situation plötzlich in eine andere Sprache umgeschaltet wurde – und ich träumte von einer Gegend, in der auch ich innerhalb eines Satzes vom Tschechischen ins Deutsche und wieder zurück wechseln könnte.
»Ein Übersetzer ist eine Art gutartiger Parasit, ein Freund, den es nach Symbiose verlangt: wie ein Schatten folgt er dem Autor auf Schritt und Tritt, kriecht in seinen Kopf hinein, sieht durch seine Augen, hört durch seine Ohren und schmeckt mit seiner Zunge.«
Eva Profousová
Manche Jugendträume werden wahr. Manchmal sogar gleich mehrere: Heute, schon eine Weile über Zwanzig hinaus und seit Jahrzehnten nicht mehr in Prag lebend, stehe ich hier auf Usedom in einer Grenzlandschaft, die einst sowohl vom Deutschen als auch vom Polnischen geprägt wurde – und lange Jahre im Abseits schlummern musste, bis sie ihre ursprüngliche Schönheit wieder erlangte. Um mich herum klingt wie selbstverständlich Deutsch und Polnisch, sogar das Tschechische mischt sich darunter, die Sprecher schalten mitten im Satz um, je nachdem, wer gerade neu dazugekommen ist.
Als wäre dies nicht genug, habe ich in der Zwischenzeit auch selbst mehrmals erleben dürfen, wie sich das Bücher-Übersetzen anfühlt. Seitdem weiß ich, dass nicht jeder Roman sich aus dem Stegreif übertragen lässt. Der Versuch, die Übersetzung von Radka Denemarkovás Roman im Café Slavia aus dem Handgelenk zu schütteln, würde kläglich scheitern. Auch mit ein paar Gläschen Absinth intus. Die Emotionen, die einen Roman nach vorne treiben, und die ihm zugrunde liegende Sprachmelodie, die lassen sich zwar blitzartig erfassen – jedoch nur mühsam wiedergeben. Genau darin aber liegt der Reiz: nach dem verborgenen Mechanismus zu suchen, der dem Räderwerk der Buchstaben das Leben einhaucht. Je präziser die Sprache des Autors, je bewußter sich der Autor seines Werkzeugs bedient, desto einfacher gestaltet sich die Arbeit des Übersetzers. Hat er einmal die Struktur erfaßt, braucht er »nur noch« ihr zu folgen.
Zu folgen heißt aber nicht »abzuschreiben«. Ein Übersetzer ist kein mittelalterlicher Mönch, der wertvolle Bücher kopiert. Ein Übersetzer ist eine Art gutartiger Parasit, ein Freund, den es nach Symbiose verlangt: wie ein Schatten folgt er dem Autor auf Schritt und Tritt, kriecht in seinen Kopf hinein, sieht durch seine Augen, hört durch seine Ohren und schmeckt mit seiner Zunge. Nachdem die Denkweise des Schriftstellers auch die seine geworden ist, nachdem er verstanden hat, was dem Autor teuer und was ihm nur feuchter Dreck bedeutet, worin seine Stärken liegen und wo er nur seine Schwächen pflegt – wenn er also so weit gekommen ist, zieht er sich zurück und macht sich selbst ans Werk.
Um an »seinem« Original zu feilen. In den engen Grenzen der Vorlage läuft er seine eigene Kür: Denn keine Sprache gleicht der anderen – auch wenn sich das Tschechische und das Deutsche durch die jahrhundertlange Nachbarschaft viel näher gekommen sind als zum Beispiel das Japanische und das Griechische, sind die beiden Schnäbel schon deutlich anders gewachsen: Was der Deutsche als seine Westentasche kennt, ist dem Tschechen wie seine Stiefel vertraut (znám to jako svý boty). Wo in Böhmen ein Freund für den anderen ins Wasser springt (skočil bych pro tebe do vody), geht ein Deutscher durchs Feuer. Wen bei meinen Landsleuten nicht einmal ein Dorfhund anbellt (ani pes po něm neštěkne), nach dem kräht in Deutschland kein Hahn – und wenn einen Tschechen hlad jako vlk übermannt, Hunger wie ein Wolf, da hat der Deutsche einen richtigen Bärenhunger. Jedes übersetzte Buch ist Original und Variation zugleich – auffällig anders und gleichzeitig frappierend gleich – ähnlich wie ein Mensch, der in zwei Ländern lebt und je nach Sprache in andere Gestik oder Stimmhöhe verfällt.
Aus Radka Denemarkovás weißer Krähe (bílá vrána) ist unterwegs nach Deutschland ein weißer Rabe geworden – der sich nun auf Usedom eine Auszeichnung holt. Ich freue mich für Radka und ich freue mich auch für mich: Denn die Tatsache, dass auch die Übersetzung geehrt wurde, zeigt, wie hoch die Arbeit der Übersetzer mittlerweile angesehen wird. Der nächste Traum, der auf Usedom in Erfüllung geht.
Vielen Dank.
Mit Hellmuth Karasek, Radka Denemarková und Eva Profousová
Grenzlandgeschichten – Zwischen Deutschland, Polen und Tschechien
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