Gabriele Samietz
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St. Annaberg
Polnisches Ehrenmal, St. Annaberg
Gräber im Lager Lamsdorf
Schaltraum des Senders Gleiwitz
Der Direktor des Instituts für Nationales Gedenken, Außenstelle Kattowitz, und Dr. Grzegorz Bębnik, wiss. Mitarbeiter
Schloss Muhrau
Melitta Sallai
Eingangstor zum KZ Groß Rosen
Steinbruch beim Lager Groß Rosen

Bericht über eine Fortbildungsreise für Multiplikatoren nach Nieder- und Oberschlesien vom 18. bis 21. April 2007

Die viertägige Exkursion für Multiplikatoren nach Nieder- und Oberschlesien vom 18. bis 21. April 2007 wurde vom Kulturreferenten am Schlesischen Museum in Görlitz (Dr. Michael Parak) und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam (Fachreferentin für Kulturgeschichte und Kulturpolitik Gabriele Samietz) organisiert. Die Teilnehmer waren Journalisten und Redakteure von Presse, Rundfunk und Fernsehen (ZDF, MDR, FAZ, PNN, Deutschlandradio u.a.) sowie Mitarbeiter politischer Stiftungen (Friedrich-Ebert-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung u.a.) und Museen.

Von Görlitz ging die Fahrt zum St. Annaberg/Góra Swiętej Anny 30 km südöstlich von Oppeln/Opole. Der 400 m hohe St. Annaberg wurde im Laufe der schlesischen Geschichte zum religiösen und politischen Symbol von Oberschlesien, wobei die Politik für das Trennende und die Religion für das Gemeinsame steht. Der Ort war vor dem Zweiten Weltkrieg der wichtigste katholische Wallfahrtsort in Oberschlesien, der sowohl von polnisch- als auch von deutschsprachigen Gläubigen besucht wurde.

Zum politischen Wahrzeichen von Oberschlesien wurde der St. Annaberg nach dem Ersten Weltkrieg. Bei der Volksabstimmung am 20. März 1921 über die Zukunft Oberschlesiens stimmten fast 60 Prozent der Bewohner für einen Verbleib der Region bei Deutschland. Daraufhin besetzten polnische Freischärler den strategisch wichtigen Annaberg, der aber am 21. Mai durch den aus deutschen Freiwilligen gebildeten Selbstschutz Oberschlesien zurück erobert wurde. Dieses Ereignis wurde sowohl im Dritten Reich als auch in kommunistischer Zeit in Polen durch nationale Propagandadarstellungen verklärt. Seit 1989 werden auf dem St. Annaberg auch wieder Messen und Andachten in deutscher Sprache gehalten.

Am zweiten Tag erfolgte der Besuch des Zentralmuseums der Kriegsgefangenen in Lamsdorf/Łambinowice in der Wojewodschaft Oppeln, wo die Gruppe durch den Direktor Prof. Dr. Edmund Nowak einen Überblick über die Geschichte des Lagers erhielt. Hier wurde in den Jahren 1939 bis 1945 eines der größten deutschen Kriegsgefangenenlager betrieben. Während des Zweiten Weltkrieges starben hier ca. 40000 Kriegsgefangene, vor allem Soldaten der Roten Armee, von denen die meisten verhungerten. Von Juni 1945 bis Herbst 1946 diente Lamsdorf als Internierungslager im Rahmen der Vertreibung der Deutschen aus Oberschlesien. Von den insgesamt 9.000 Internierten, vor allem Frauen, Alte und Kinder, starben dort über 1000 Deutsche. In kommunistischer Zeit war dies in Polen ein Tabu-Thema. Nach der politischen Wende 1989 hat sich vor allem Professor Nowak hinsichtlich der Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte des Lagers Lamsdorf verdient gemacht.

Von Lamsdorf ging die Fahrt weiter in die 115 km entfernt liegende oberschlesische Stadt Gleiwitz/Gliwice, die durch den Überfall auf den Sender Gleiwitz bekannt wurde, der als Anlass zum Zweiten Weltkrieg diente. Am 31. August 1939 erfolgte hier ein vom Sicherheitsdienst (SD) der nationalsozialistischen SS organisierter Überfall - angeblich polnischer Soldaten - auf den Rundfunksender, um den deutschen Angriff auf Polen als Antwort auf polnische Provokation hinzustellen. Seit 2005 ist der Sender Gleiwitz ein Museum.

Am Abend war die Gruppe im Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit zu einem Gespräch mit dem derzeitigen Direktor Marcin Wiatr eingeladen. Im Anschluss daran bestand die Gelegenheit der Debatte »Quo vadis, Europa?« zum Thema »Bedeutung des deutsch-polnischen Dialogs für die Zukunft der EU im Kontext der deutschen EU-Ratspräsidentschaft« beizuwohnen. Teilnehmer dieses Gespächs waren Dr. Angelica Schwall-Düren, MdB und polnische Politiker.

Am folgenden Tag besuchte die Gruppe das Institut für Nationales Gedenken (IPN) in Kattowitz. Aufgabe dieser Institution ist die Verfolgung von nationalsozialistischen und kommunistischen Verbrechen, von Kriegsverbrechen sowie von Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit. Nach der Begrüßung durch den Direktor gab der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Grzegorz Bębnik einen Überblick über die Arbeit des IPN und beantwortete Fragen der Exkursionsteilnehmer.

Von Kattowitz ging die Fahrt nach Schweidnitz/Świdnica zur Besichtigung der berühmten Friedenskirche »Zur Heiligen Dreifaltigkeit« in Niederschlesien, die zusammen mit der Friedenskirche in Jauer/Jawor zu den größten sakralen Fachwerkbauten Europas zählt und 2001 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde. Dafür hatten sich polnische und deutsche Denkmalpfleger eingesetzt. Diese protestantischen Friedenskirchen entstanden nach dem Westfälischen Frieden von 1648, dem sie ihren Namen verdanken und zählen heute zu prägnantesten Baudenkmälern des gemeinsamen Kulturerbes von Deutschen und Polen.

Weiter ging es nach Muhrau/Morawa in Niederschlesien. Hier betreibt die St. Hedwig-Stiftung/Fundacja sw. Jadwigi in dem ehemaligen Herrenhaus der Familie von Wietersheim-Kramsta eine Kindertagesstätte und eine Akademie – eine deutsch-polnische Begegnungsstätte – für Schulklassen und Jugendgruppen.

Hier finden u.a. Seminare über schlesische Geschichte für Schüler und Studenten aus Polen und Deutschland statt, die von Mitarbeitern der Universitäten in Breslau und Oppeln betreut werden. In dem Kindergarten erhalten Kinder aus sozial benachteiligten Familien eine kostenlose Ganztagsbetreuung. Diese Initiative geht vor allem auf die heute 79-jährige Melitta Sallai, eine Nachkommin der Familie von Wietersheim-Kramsta zurück, die nach ihrer Pensionierung 1992 auf das Gut ihrer Eltern zurückkehrte.

Etwa 20 Kilometer von Muhrau entfernt befindet sich das ehemalige Konzentrationslager und die Gedenkstätte Groß Rosen/Rogoznica. Nach dem Besuch des Museums führte eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte die Gruppe über das Gelände des ehemaligen Lagers. Es wurde am 2. August 1940 als Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen eingerichtet.

Ab dem 1. Mai 1941 stand das KZ Groß Rosen unter eigener Verwaltung. Die Häftlinge wurden größtenteils in den nahe gelegenen Steinbrüchen zum Granitabbau eingesetzt. Anfang 1945 wurde das Lager geräumt, die Gefangenen deportiert oder auf Todesmärsche geschickt.

Zurück in Görlitz bestand die Möglichkeit, an einer Führung durch das Schlesische Museum zu Görlitz teilzunehmen, die von dem größten Teil der Reisegruppe genutzt wurde.

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