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Zum hundertsten Geburtstag des großen sowjetischen Pianisten Swjatoslav Richter (1915–1997), der im März 2015 in aller Welt begangen wird, würdigt das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Kooperation mit dem Deutschen Kulturzentrum Bayerisches Haus Odessa den Vater des Pianisten, den Kirchenmusiker und Komponisten Theophil Richter (1872–1941). Theophil Richter wirkte in Odessa an der St. Pauls-Kirche, an der Oper und  am Konservatorium und fiel 1941 den Stalinschen Repressionen zum Opfer.

Theophil Richter (1872–1941) wurde in einer deutschen Familie in Shitomir in der nördlichen Ukraine geboren. In der Stadt, die als Zentrum des Gouvernements Wolhynien zum Russischen Reich gehörte, lebten damals etwa 65.000 Menschen unterschiedlicher Nationalität und Religion. Russische und ukrainische Orthodoxe und Altgläubige stellten nur etwa die Hälfte der Bevölkerung, gefolgt von über 20.000 Juden und etwa 9.000 polnischen Katholiken. Die Richters gehörten zu einer der beiden in Shitomir bestehenden protestantischen Gemeinden.

Plakat des Films <i>Richter, der Unbeugsame</i> von Bruno Monsaingeon

Über das Leben Theophil Richters ist nur sehr wenig bekannt. Einige Auskünfte gab sein Sohn, der berühmte Pianist Swjatoslaw Richter (1915-1997) in seinen letzten Lebensjahren seinem Gesprächspartner und Biografen, dem französischen Filmautor Bruno Monsaingeon: Theophil Richter, dessen Vater von Beruf Klavierstimmer war, studierte Musik am Wiener Konservatorium. Swjatoslaw Richter erzählte, sein Vater habe über zwanzig Jahre in Wien gelebt und sei freundschaftlich mit Franz Schreker verbunden gewesen. Im Sommer 1912 lernte Theophil Richter in Shitomir seine spätere Ehefrau Anna Pawlowna Moskaljowa, kennen, die auch seine Klavierschülerin wurde.

1916 wurde Theophil Richter als Organist an die St. Paulskirche in Odessa berufen, eine der bedeutendsten lutherischen Kirchen im Russischen Reich, die über eine große Orgel der Ludwigsburger Firma Walker verfügte. Hier in Odessa erlebte die Familie Richter die dramatischen Ereignisse von Weltkrieg, Revolution und Bürgerkrieg. Seinen Dienst in der evangelischen Kirche musste Theophil Richter bald aufgeben, und er ernährte seine Familie und sich fortan als Lehrer am Odessaer Konservatorium und als Mitglied des Orchesters der Oper. Neben vielen anderen Privatschülern unterrichtete er auch die Kinder des deutschen Konsuls in Odessa. Im August 1941 wurde er aufgrund einer Denunziation vom sowjetischen NKWD verhaftet und Anfang Oktober 1941 als feindlicher Agent verurteilt und erschossen.

Der Sohn Swjatoslaw Richter, der damals als Student bei Heinrich Neuhaus am Moskauer Konservatorium bereits erste Triumphe als einer der glänzendsten Pianisten seiner Zeit feierte, erfuhr erst Jahre später vom Tod seines Vaters. Anna Richter, die noch Anfang Oktober versucht hatte, mit einer Eingabe beim örtlichen Militärtribunal ihren Mann Theophil frei zu bekommen, blieb während der rumänischen Besatzung in der Stadt und floh 1944 mit ihrem zweiten Ehemann nach Deutschland.

Das Streichquartett F-Dur ist neben einigen kleineren Klavierstücken die einzige erhaltene Komposition Theophil Richters. Das Manuskript, das Swjatoslaw Richter zeit seines Lebens aufbewahrte, befindet sich heute an unbekanntem Ort. Zum Glück sind einige Fotokopien dieses Manuskripts in privaten Sammlungen erhalten geblieben. Auf der ersten Seite ist zu sehen, dass das Streichquartett ursprünglich den russischen Titel «Жизнь» (»Das Leben«) trug, der allerdings später sorgfältig durchgestrichen wurde. In diesem Werk stellte Theophil Richter im anspruchsvollen Genre des Streichquartetts seine kompositorische Meisterschaft unter Beweis. Im November 1988 notierte Swjatoslaw Richter unter dem Eindruck einer häuslichen Aufführung durch das Borodin-Quartett: »Ich liebe dieses Werk wegen seines Charmes und seiner Ungekünsteltheit«. Abgesehen von einigen wenigen halböffentlichen Aufführungen in Moskau und Odessa blieb das Quartett bis heute unbekannt.

Natalia Litvinova und Leonid Piskun (Violine), Iya Komarova (Viola) und Sergei Scholz (Violoncello)

Anlässlich des hundertsten Geburtstags von Svjatoslav Richter wird dieses Streichquartett wieder zum Leben erweckt und der musikinteressierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Gespielt vom Odessa String Quartet, das aus Solisten der Odessaer Philharmonie besteht, erscheint Theophil Richters Streichquartett zum 100. Geburtstag von Swjatoslaw Richter am 20. März 2015 auf einer CD des renommierten Labels Profil Edition Günter Hänssler.

Theophil Richter (1872–1941) & Felix Blumenfeld (1863–1936): String Quartets

World Premiere Recordings

 

Odessa String Quartet
Natalia Litvinova & Leonid Piskun (Vl)
Iya Komarova (Va)
Sergei Scholz (Vc)

Theophil Richter (1872–1941): String Quartet F major

 

1 Moderato 08:51
2 Andante 06:28
3 Tempo giusto à la Valse 08:40
4 Allegro 06:32

 

Felix Blumenfeld (1863–1931): String Quartet F major, op. 26

 

5 Allegro 06:41
6 Presto 05:40
7 Andantino 07:05
8 Finale. Allegro molto 07:39

 

  Total Time: 57:39

Theophil Richter, Felix Blumenfeld: String Quartets. Odessa celebrates centenial of Sviatoslav Richter. Odessa String-Quartet.
Aufnahme: 11.–13. Juli 2014, Festsaal des Bezirks Oberpfalz, Regensburg, Aufnahmeproduzent und digitale Bearbeitung: Andreas Ziegler, Produziert vom Deutschen Kulturforum östliches Europa, Klaus Harer, in Kooperation mit Profil-Edition Günter Hänssler. Deutsch-englisches Booklet. Gesamtspielzeit 76:02.
℗ 2014 by Deutsches Kulturforum östliches Europa
© 2015 by Profil Medien GmbH
15,00 €, Best.-Nr. PH15011

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Deutsches Kulturforum östliches Europa
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