Der Vortrag wurde im Juni 2010 im Rahmen des dreitägiges Seminars »Tannenberg – Grunwald – Žalgiris | 1410 – 2010. Schlachtfeld der Nationalmythen« im polnischen Allenstein/Olsztyn gehalten.
Im Rahmen der Konferenz vom 18. bis 20. Juni 2010 in Allenstein/Olsztyn, die sich mit dem historischen Ort und der Mythisierung der Schlacht von Grunwald bzw. Tannenberg befasste, fanden neben der Vorführung des Filmes die kreuzritter sowie einer Begehung der Gedenkstätte Grunwald wissenschaftliche Vorträge statt. In thematischen Workshops, die sich mit der Kontextualisierung beider Schlachten sowie der Darstellung in deutschen und polnischen Schulbüchern befasste, wurden Fragen über die Bedeutung der Mythenbildung in Polen, Litauen und Deutschland diskutiert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus diesen drei Ländern waren angereist, um ca. 20-minütige Vorträge zu halten. Christoph Mick (Leamington Spa), Igor Kąkolewski (Warschau) und Alvydas Nikžentaitis (Vilnius) beschäftigten sich mit der Rezeption der Grunwald-Schlacht in Deutschland, Polen und Litauen. Mit dem Referat Micks möchte ich mich hier näher beschäftigen.
Der zeitliche Schwerpunkt der Grunwald-Rezeption lag laut Christoph Mick im 19. Jahrhundert; bis dahin sei die Schlacht wenig beachtet worden. Die Romantik hätte allerdings mit einem »Mittelalter-Revival« zu einer erneuten Beschäftigung mit dem Deutschen Orden geführt. Dies gipfelte in der Einführung eines neuen Militärabzeichens unter Wilhelm III.: dem Eisernen Kreuz, einem schwarzen Kreuz auf weißem Grund. Eigentlich nur für die Freiheitskriege gedacht, wurde es bis zum Ende des »Dritten Reichs« verliehen. Sich auf die Historiker Leopold von Ranke und Heinrich von Treitschke berufend stellte Mick zeitgenössische Kreuzritter-Darstellungen vor: Für Ranke hatte nicht der Deutsche Orden, der insbesondere durch ihn Eingang in die Geschichtsschreibung der »Ostgebiete« fand, sondern dessen Gegner die angeblichen Grausamkeiten begangen. Die Niederlage des Ordens wurde von ihm als »Gottes Gericht« gesehen, bei der besonders die Betonung des »Verrats von innen«, d.h. die Befehlsverweigerung des Kulmer Ordens, eine wichtige Rolle spielte. Der Antisemit Heinrich von Treitschke sah im Deutschen Orden die Verkörperung der deutschen »Kulturträger«, die »den Niedergang des Abendlandes gegenüber der östlichen Flut« verteidigen müssten.
Des Weiteren wies Mick auf Erinnerungsorte im geteilten Polen hin: Die Errichtung des Kopiec Grunwaldzki 1910 – dafür schütteten ab März 2010 tausende Menschen in gemeinsamer Anstrengung in der Nähe von Krakau einen Hügel (polnisch: Kopiec) auf, der der Erinnerung an Grunwald gewidmet war –, die Militärübungen auf dem Gebiet des Schlachtfeldes sowie die Errichtung eines Jagiełło-Denkmals und die damit verbundenen Feierlichkeiten in Krakau 1910, die weitestgehend parteiübergreifend durchgeführt wurden. Die Funktion des Mythos sieht er unter anderem in der Traditionsstiftung, der nationalen Mobilisierung, der Gemeinschaftsbildung und Propagierung des Panslawismus. Teil davon ist die Errichtung von eindimensionalen Feindbildern. Dies wird seiner Meinung nach augenfällig im Aufstellen eines Gedenksteins für Hochmeister Ulrich von Jungingen auf dem ehemaligen Schlachtfeld von deutscher Seite sowie in der Tatsache, dass die systematische Zerstörung von Grunwald-Denkmälern durch die Nationalsozialisten eine der ersten Handlungen nach dem Überfall auf Polen war.
Der Samstagabend endete mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion der Workshops. Hier wurden die verschiedenen Thesen der Vorträge aufgriffen und in unterschiedlichem Maße diskutiert. Dabei wurde offensichtlich, dass eine vorherige Klärung der wichtigsten Begriffe – wie »Mythos«[¹] oder »Nation« – zu Beginn des Wochenendes vonnöten gewesen wäre, da sie teilweise mit unterschiedlichem Verständnis verhandelt wurden. Eine eingehende und kritische Kontextualisierung von »Nation« und »Nationalismus« konnte so leider nicht stattfinden – zum Beispiel behauptete Christoph Mick, dass der Grunwald-Mythos heutzutage hauptsächlich nur noch aus folkloristischer Begeisterung bestehen würde.
Daran anknüpfend war auch Jesko von Hoegen der Meinung, dass der Mythos von Tannenberg in Deutschland mit dem Dritten Reich »untergegangen« sei. Der interessante Vortrag von Christoph Mick und die Resultate der Diskussion werfen einige Fragen auf. Dass die Strömung der Romantik und das »Mittelalter-Revival« eng mit der »invention of tradition« (E. Hobsbawm) oder den »imagined communities« (B. Anderson) verknüpft werden können, scheint entweder Konsens unter den vortragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sein oder nicht Eingang in ihre Betrachtungen gefunden zu haben. Zwar zählt Mick Funktionen eines Mythos auf, vergisst hier aber – vielleicht aus Zeitgründen –, sie zu kontextualisieren. Gerade das wäre bei einer weiteren Diskussion hilfreich gewesen.
¹ Auf Nachfrage las Alvydas Nikžentaitis eine Mythos-Definition von Aleida Assmann vor.
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