Maksym Morin
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Hindenburg-Statue im 1924–1927 erbauten und 1945 zerstörten Tannenberg-Nationaldenkmal. Aufnahme aus der Zeit nach der Umgestaltung zum »Reichsehrenmal Tannenberg« 1934 Historische Postkarte

Der Vortrag wurde im Juni 2010 im Rahmen des dreitägiges Seminars »Tannenberg – Grunwald – Žalgiris | 1410 – 2010. Schlachtfeld der Nationalmythen« im polnischen Allenstein/Olsztyn gehalten.

Der deutsche Mythos wird auch als »Hindenburg-Mythos« bezeichnet und bezieht sich hauptsächlich auf ein Kriegsereignis während des Ersten Weltkrieges. Es ist erwähnenswert, dass die Schlacht bei Grunwald von 1410 bis zum 19. Jahrhundert in der preußischen Geschichtsschreibung kaum beachtet wurde, vor allem, weil der Deutsche Orden hier eine schmerzhafte Niederlage erfuhr. Preußen hat sich nie mit dem Deutschen Orden identifiziert, vielleicht auch weil es protestantisch war und nicht katholisch. Diese Gründe können erklären helfen, warum der Schlacht in Preußen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Für Polen war die Schlacht bei Grunwald hingegen offensichtlich ein großes historisches Ereignis.

Der »deutsche Mythos« von Tannenberg entstand an der Ostfront, an der die russischen Streitkräfte entgegen aller Erwartung in preußisches Gebiet vordringen konnten. Die Führung der in Bedrängnis geratenen deutschen Streitkräfte übernahmen die Feldherren Hindenburg und Ludendorff. Die Lage war gefährlich. Ludendorff und Hindenburg trugen deshalb eine große Verantwortung bei der Erfüllung ihrer Mission: Die Befreiung Ostpreußens von den Russen. Der Höhepunkt der Schlacht fand im Umkreis von Grunwald – Allenstein – Tannenberg statt. So kam es später zur Bezeichnung »Schlacht bei Tannenberg«. Die deutsche Armee konnte die russische einkesseln und zerschlagen. Obwohl eigentlich Erich Ludendorff als der hervorragende Feldherr und Stratege galt, wurde Hindenburg als »Held von Tannenberg« gefeiert. Hindenburg wurde zum lebendigen Mythos, zum Symbol der Rettung und zum Garanten für Sicherheit und Stabilität im damaligen Preußen. Somit blieb Ludendorff in seinem Schatten. Durch geschickte Selbstinszenierung und durch die Anerkennung, die er unter den Massen genoss, wurde Hindenburg später zum Staatsoberhaupt.

Die Verbindung, die zwischen der Schlacht bei Tannenberg im Jahr 1914 und der Schlacht bei Grunwald im Jahr 1410 hergestellt wurde, ist interessant. Man betrachtete alles, was östlich der »germanischen« Grenze lag, als barbarische Gebiete. Der Deutsche Orden galt als »Grenzwächter der Zivilisation« und des Deutschtums. Durch ihren Einsatz für den christlichen Glauben – so die allgemeine Auffassung – hätten die Kreuzritter Kultur, Bildung und Entwicklung in den slawischen Raum gebracht. In der Zeit der Romantik idealisierte man die Ritterzeiten. Der Hochmeister Ulrich von Jungingen, der auf dem Kampffeld von Grunwald starb, wurde als Märtyrer mystifiziert. Man betrachtete die Schlacht bei Grunwald von 1410 als Kulturschlacht zwischen dem zivilisierten Westen und dem wilden Osten. Im Ersten Weltkrieg gehörte der östliche Teil Polens zum russischen Zarenreich. Somit wurden Polen wie Russland mit dem »barbarischen Osten« gleichgesetzt. Die preußische Bevölkerung sah in Hindenburg die Rettung vor den Gräueltaten, die sie vor der russischen Armee befürchtete.

Die Neigung, den Deutschen Orden mit Preußen und mit dem Dritten Reich zu assoziieren, hielt sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Sieg bei Tannenberg im Jahr 1914 über die russische Armee galt aus deutscher Perspektive faktisch als die Revanche für die verlorene Schlacht von Grunwald im Jahr 1410 und als Fortsetzung des Abwehrkampfes gegen die »Slawenflut«.

In den Zeiten der Weimarer Republik hat die mythische Gestalt Hindenburgs viele deutsche Künstler fasziniert. Er wurde als »Roland-Figur« oder als kluger »Wissenschaftler des Krieges« dargestellt. Man druckte Banknoten mit seinem Porträt. Dies sollte Sicherheit und Stabilität vermitteln. Von den Nazis wurde der Hindenburg-Mythos instrumentalisiert und als Propaganda-Mittel eingesetzt. Während der Diktatur wurden in Polen alle sichtbaren Zeichen, die an die Schlacht bei Grunwald von 1410 erinnerten, gesprengt. Die Zerstörung des Denkmals von Krakau ist dafür ein gutes Beispiel. Das von den Nazis gesuchte Gemälde von Jan Matejko, auf dem der Tod des Großmeisters Ulrich von Jungingen im Kampf gegen die polnischen Truppen dargestellt ist, wurde nicht entdeckt.

Das Tragische am Mythos von Tannenberg liegt darin, dass Hindenburg zum großen Helden in den Augen der Menschen wurde, als reale Person und als Politiker blieb er jedoch ohne Einfluss. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb vom Hindenburg-Mythos nichts übrig. Damit verlor auch der Tannenberg-Mythos an Bedeutung, was zeigt, wie eng diese beiden Mythenbildungen miteinander verknüpft waren.

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