Torsten Gellner
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Märkische Allgemeine Zeitung • 11.12.2008

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der märkischen allgemeinen zeitung.

Potsdam. Die Nachbarn Deutschland und Polen trennt viel, zumal, wenn es um ein gemeinsames Geschichtsbild geht. Doch genau auf diesem Gebiet, findet der deutsch-polnische Journalist Basil Kerski, operiere man zumindest unter gleichen Vorzeichen: »Das wiedervereinigte Deutschland ist eine ebenso junge Gesellschaft wie die polnische.« Denn vor dem Kollaps des Kommunismus habe es ja auf beiden Seiten der Oder keine völlige Freiheit der geschichtlichen Lehre gegeben. Die neue Offenheit jedoch, so Kerski, führe keineswegs zu mehr Klarheit – zumindest nicht in seiner Heimat: Er treffe oft auf Politiker, die noch immer mit den längst widerlegten Geschichtsmythen aus der Zeit der Sowjetherrschaft hausieren gehen. »Und da wollen sie versuchen, ein gemeinschaftliches Geschichtsbild aufzubauen?«

Basil Kerski stellte diese rhetorische Frage am Dienstagabend im Potsdamer Waschhaus, wohin das Deutsche Kulturforum östliches Europa zum adventlichen Disput geladen hatte. Kerski kam in Danzig zur Welt, studierte an der Freien Universität zu Berlin und ist Chefredakteur des deutsch-polnischen Magazins Dialog. Im Waschhaus gefiel sich der geistreiche Journalist in seiner Rolle als Anti-Illusionist. Wollte das Kulturforum von seinen Diskutanten erörtert wissen, was Ost und West voneinander lernen könnten, gab Kerski zu bedenken: »Wir wissen ja, dass wir lernen müssen. Aber die Lernfaulheit der Menschen ist nun mal eine Tatsache.«

Gunter Pleuger, Präsident der Frankfurter Viadrina-Universität, konstatierte ebenfalls ein Lerndefizit, nämlich die mangelnde Fähigkeit der Partner innerhalb der EU, sich in andere hineinzuversetzen. »Katastrophal« sei der Zustand der Staatengemeinschaft. Klima-, Energie-, Sicherheitspolitik – »wir sind doch in allen Fragen uneinig«. Man müsse also erst einmal ein Gefühl dafür entwickeln, »was im gesamteuropäischen Interesse ist«.

Angelica Schwall-Düren musste berufsbedingt ein wenig optimistischer in die Zukunft blicken; sie ist SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundesverbands Deutsch-Polnischer Gesellschaften: »Wir können von der grandiosen Vermischung der Kulturen furchtbar profitieren«, sagte sie. Im Krisenvielerlei (Finanzen, Wirtschaft, Klima) erblickte sie mit asiatischer Weisheit eine Chance: »Wir können die Probleme gar nicht alleine lösen, wir brauchen uns gegenseitig.«

Ein schwieriger Weg, war sich das Podium einig, denn »wir werden in der EU noch lange einzelne Staaten als Quelle der Identität haben«, wie Pleuger sagte. Ein anderes Hindernis machte Basil Kerski in der polnischen Europapolitik aus, der er, mit Blick auf die Person Lech KaczyŖskis, ein Glaubwürdigkeitsproblem bescheinigte. In Polen werde die Debatte über die deutsche Europapolitik »autistisch« geführt – nämlich ohne Deutschland. »Die schärfsten polnischen Kritiker sprechen nicht mit den deutschen Akteuren. Das müssen wir lernen.«

Das Fazit nach kurzweiligen anderthalb Stunden west-östlichen Dialogs: Kerski befand, die Beziehung zwischen Ost und West sei immer noch »eine Ansammlung von Vorurteilen«. Die man abbauen werde, so Schwall-Düren zuversichtlich. Um das zu beschleunigen, regte Pleuger eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks an, jener trilateralen Konsultation zwischen dem deutschen, französischen und polnischen Außenminister. »Der deutsch-französische Motor ist für Europa zu schwach geworden, er braucht einen neuen Zylinder«, so Pleuger. »Wer könnte das anderes sein als Polen?«