Klaus Büstrin
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Potsdamer Neueste Nachrichten • 08.02.2008

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Potsdamer Neuesten Nachrichten.

Schlesien ist in Bewegung. Eine Region in der Mitte Europas, in der man sich wieder begegnet, in der man sich der wechselvollen tausendjährigen Geschichte erinnert. Es waren meist unruhige Zeiten, in denen die Schlesier lebten. Mit ihren wechselnden Besitzern – Polen und Böhmen, Habsburgern und Preußen – wurde das Land »wiederholt zur Verschiebemasse in den strategischen Zügen der Mächtigen dieses Kontinents«, wie es in einem aktuellen Reiseführer heißt. Polen und Deutsche versuchen nun, sich ihre Kulturleistungen nicht mehr gegenseitig streitig zu machen.

Das Schlesische Museum zu Görlitz und das Museum von Gliwicach (Gleiwitz) erinnern mit ihren Sammlungen und Sonderausstellungen an die reiche Geschichte Schlesiens und beleuchten ihre Gegenwart. Mit den umfangreichen Fotosammlungen beider Einrichtungen gibt es dazu viele Möglichkeiten. Auch mit der aktuellen Schau »Oberschlesien im Objektiv«. Die 110 Fotografien aus den Jahren 1860 bis nach 1930 zeigen einen faszinierenden Einblick in das Land und seine Menschen. Sie sind ab heute im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (Kutschstall) gemeinsam mit der Ausstellung »Begegnungen im Oberschlesischen Industriegebiet« der Fotografen Anke Illing und Thomas Voßbeck zu sehen. Deren Bilder entstanden im Jahre 2005. Die Exposition wird unterstützt vom Deutschen Kulturforum östliches Europa, das ein interessantes Veranstaltungsprogramm mit Lesungen, Vorträgen, Filmen und Diskussionen zusammenstellte.

Oberschlesien ist das Land an der oberen Oder, es erstreckt sich südlich von Breslau bis zum Vorgebirge der Karpaten. Waldreich und sanft gewellte Hügel sind dort zu finden, die schon der aus Schlesien stammende Dichter der Romantik, Joseph von Eichendorff, besang. Daneben gibt es das Industriegebiet um Kattowitz, das »Ruhrgebiet des Ostens«. Oberschlesien konkurrierte Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgreich um die Vormachtstellung auf der wirtschaftlichen Landkarte Europas.

Und so findet man in der Fotoausstellung auch Bilder, die die Entwicklung der Industrie um 1914 dokumentieren, mit neuen Technologien, Maschinen und unzähligen Schornsteinsilhouetten. Sie entstanden im Auftrag von Bergbau- und Hüttenkonzernen, meist zu Dokumentations- und Werbezwecken. Die Aufnahmen zeigen auch Menschen bei der schweren Arbeit in den Fabrikhallen und in den Hütten, an den Bohr- und Schleifmaschinen oder beim Brikett sortieren. Waren Anfang 1914 noch ausschließlich Männer auf den Arbeiter-Bildern zu sehen, wandelte sich die Personage im Laufe der Zeit. Die Männer, die als Soldaten in den ersten Weltkrieg ziehen mussten, wurden mit Frauen ausgetauscht. Sie sieht man beim Verladen von Kriegsgerät, von Artilleriegeschossen in einem Werk in Kattowitz. Der Reichtum, den diese Industrielandschaft erlangte, zeigt sich darin, dass die Konzerne für die Arbeiter Wohnsiedlungen, Erholungsheime oder Schulen bauten. Melancholie kommt in diesen Fotografien nicht auf.

Dagegen nehmen die Bilder des Fotografen Wilhelm von Blandowski (1822–1878) aus Gleiwitz und Karl Franz Klose (1897–1984) aus Breslau Nostalgisches auf. Blandowski zeigt Menschen aus dem Bürgertum, die zu Wohlstand und Ansehen gekommen sind, Männer mit Attributen ihres Berufsstandes, Frauen in teilweise opulenten Kleidern und Kinder mit allerlei Spielzeug. Wilhelm von Blandowski zeigt aber auch einen Arzt bei der Arbeit oder die heiteren Bilder von drei Maurern, wie sie mit Ernsthaftigkeit zu ihrer Arbeit gehen und wie sie von der Arbeit kommend, kaum noch gerade stehen können, weil der Alkohol mit im Spiele war. Gehören Blandowskis Werke vor allem zur Gleiwitzer Fotosammlung, so wird der fotografische Nachlass von Karl Franz Klose im Görlitzer Museum aufbewahrt.

Kloses Arbeit fand nicht im Atelier statt. Er hat sich immer zu den Menschen aufgemacht. Auch Städte, Schlösser und Landschaften Oberschlesiens nahm er ins Visier. Besonders reizvoll sind seine Aufnahmen von den Festen, die die alten schlesischen Bräuche dokumentieren. Auch erzählen sie von Frauen und Männern, die in ihrem Glauben fest verwurzelt sind und ihn darstellen.

Alle Aufnahmen, auch die der unbekannten Fotografen, zeichnen ein lebendiges Bild des alten Oberschlesien – ein Porträt, in dem die Furchen und das Geglättete, die Schönheiten und das Hässliche nicht verheimlicht werden.

Einen kleinen fotografischen Ausschnitt aus ihrer Oberschlesien-Sicht zeigen Anke Illing und Thomas Voßbeck, die zur Berliner Initiative europareportage gehören. Mit ihren Bildern macht die Ausstellung im Kutschstall einen Zeitsprung. Aber die Momentaufnahmen aus dem Jahre 2005 zeigen ähnliche Motive wie die vor 100 Jahren: Menschen bei der Arbeit, in ihrer Privatsphäre, Industrie- und Wohnarchitektur oder Landschaften. Die Wandlungen Oberschlesiens seit dem Ende der Volksrepublik und dem Beitritt in die Europäische Union werden deutlich. Und somit spannt diese Ausstellung einen wunderbaren Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart: Schlesien ist in Bewegung



Bis 6. April, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (Kutschstall), Di-Fr 10 bis 17 Uhr, Sa-So 10 bis 18 Uhr; Vortrag am 13. Februar um 19 Uhr: Oberschlesien – Land und Leute in Geschichte und Gegenwart.

  • In Bewegung

    Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten

  • Oberschlesien im Visier

    Ausstellung, Vorträge, Fotoreportagen, Lesungen und eine Podiumsdiskussion

  • Oberschlesien im Objektiv

    Historische Fotografien aus dem Muzeum w Gliwicach (Gleiwitz) und dem Schlesischen Museum zu Görlitz – erweitert um aktuelle Aufnahmen von der Berliner Initiative »europareportage« | Eröffnung am 7. Februar 2008 um 18 Uhr