Oliver Hell
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Bauwelt № 38.06 • 06.10.2006

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Bauwelt.

Der wirtschaftliche Aufstieg Ungarns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Vereinigung dreier Gemeinden zur Stadt Budapest und deren neue Hauptstadtfunktion in der Doppelmonarchie schufen die Voraussetzungen für den Bau unzähliger öffentlicher Gebäude und neuer Stadtquartiere. Eine Fotoausstellung in Potsdam, konzipiert vom Deutschen Kulturforum östliches Europa und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, untersucht die deutschen Einflüsse auf die ungarische Architektur des Historismus. Die These: Die politischen Unabhängigkeitsbestrebungen Ungarns manifestieren sich durch die Anlehnung an deutsche statt an österreichische Architekturströmungen auch kulturell.

Viele ungarische Architekten studierten in Deutschland, vor allem in München und Berlin, und so lassen sich zwei Phasen deutschen einflusses erkennen: Die Bauten der in München ausgebildeten Frigyes Feszl und Miklós Ybl aus dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zeigen deutlich ihre Verwandtschaft zum romantischen Historismus Münchner Prägung, einem Rundbogenstil mit starken romanischen Anleihen. Ab 1860 ist die Architekturauffassung der Berliner Bauakademie in Budapest nachweisbar. Besonders prägend war der Neubau der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, untersucht die deutschen Akademie der Wissenschaften durch Friedrich August Stüler 1860–65, das erste Bauwerk im Stil der italienischen Renaissance in Pest. Die gestaltung der öffentlichen Bauten, welche die in Berlin bei Stüler, Strack und Lucae ausgebildeten Antal Szkalnitzky und Alojos Hauszmann in der Folge errichteten, variiert je nach Aufgabe vom schlichten preußischen Rundbogenstil bis hin zu den reichen florentinischen und venezianischen Renaissanceformen für Monumentalbauten. so verwendet Hauszmann beim St.­StephansKrankenhaus typisch berlinische Klinkerfassaden mit sparsamen Terrakottadekorationen. Sein Königlicher Gerichtshof (1891–96) zitiert fast wörtlich die Ecktürme des Berliner Reichstags.

1872 lässt der deutsche einfluss jedoch spürbar nach: Die neuen Monumentalbauten in der österreichischen Hauptstadt kommen dem Repräsentationsbedürfnis der ungarischen Kapitale offenbar mehr entgegen als die deutlich bescheideneren deutschen Beispiele. Imre Steindl etwa zitiert beim Budapester Parlament (1884–1904) vor allem in Detaillösungen Friedrich Schmidts Rathaus in Wien. Die Wechselbeziehungen zwischen der ungarischen Architektur und der anderer europäischer Nationen in erster Linie als kulturelle Abgrenzung zu interpretieren, greift zu kurz. Vielmehr spielten wohl biografische Verflechtungen, die Ausbildung und die Suche nach dem geeigneten Stil für eine Bauaufgabe eine wesentliche Rolle bei der Auswahl der Vorbilder.



Haus »Im Güldenen Arm«
Hermann-Elfleinstraße 3
14467 Potsdam
bis 29. Oktober
täglich 11–18 Uhr