Hans Happel

Nordsee-Zeitung • 16.02.2005

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Nordsee Zeitung

»Mein Ziel war es stets, ein treuer Deutscher und ein treuer Jude zugleich zu sein«, schreibt Karl Emil Franzos. Seine literarische Großtat, die erste kritische Gesamtausgabe der Werke Georg Büchners herausgegeben zu haben, hat ihn vor dem Vergessen kaum gerettet.

Das will einer ändern, der als Rezitator seit Jahren mit einer szenisch-musikalischen Lesung von Franzos’ Hauptwerk Der Pojaz durch die Bundesrepublik reist. Jetzt hat Oskar Ansull beim »Deutschen Kulturforum östliches Europa« ein Lesebuch veröffentlicht, das vor allem unbekannte und viele bisher nie in Buchform erschienene Texte des deutsch-jüdischen Autors enthält.

Mit dem Titel Zweigeist spielt Ansull auf die »unruhige Lebensreise« von Karl Emil Franzos an, der seine Kindheit und Jugend in Galizien und der Bukowina zubrachte, während des Jura-Studiums in Graz und Wien erste Erzählungen und Feuilletons schrieb und sich mit 39 Jahren in Berlin niederließ, wo er 1904 mit 56 Jahren starb. In seiner Jugend in Czemowitz, schreibt Ansull, »wuchsen ihm Deutsch- und Judentum zu einer Einheit zusammen.« Er träumte von einem »deutschen Kulturstaat«, in dem sein jüdischer Glaube selbstverständlich gelebt werden könnte.


Wieder ins Gespräch gebracht

Ein anderer Dichter aus Czernowitz, Paul Celan, hat 1960 den Namen Karl Emil Franzos wieder ins Gespräch gebracht. Er nannte ihn in seiner Büchner-Preis-Rede »meinen wiedergefundenen Landsmann«. Ansull versammelt neben Erzählungen (Der Bart des Abraham Weinkäfer) und Feuilletons in einer großangelegten Text-Montage Zitate aus Werken, Briefen, Tagebüchern, Aufsätzen, Umfragen. Sie zeigen den »Zweigeist« Franzos als Brückenbauer zwischen jüdischer und deutscher Kultur, als Geschichten-Erzähler und Moralisten, der die Armut in Wien genauso zum Thema macht wie das großstädtische Theater, Mode- und Nachtleben.


Berliner Feuilletons

In seinen Berliner Feuilletons beleuchtet er »die fleißigste Stadt des europäischen Kontinents« mit kritischem Abstand. 1895 klagt er angesichts zunehmend zurückhaltender Verleger und einer antisemitischen Großwetterlage in ganz Europa, dass »Judenfreundlichkeit« nicht mehr zeitgemäß sei. Er zählt sich nicht zu den »großen Dichtem, den Tröstern und Erhebem«, entdeckt aber mitten im nationalistischen Rausch der Gründerjahre das unzeitgemäße Werk Georg Büchners als »das Göttliche auf Erden, unerhört kühn im Inhalt und unerhört formlos, nicht aus Mutwillen, sondern aus innerster Notwendigkeit.«

Franzos' bestes Werk Der Pojaz feiert Hanjo Kesting im Nachwort zum Lesebuch als »fesselndes, emotional aufwühlendes, auch literarisch meisterliches Buch«, dessen Autor zu vergessen, »eine himmelschreiende Ungerechtigkeit« sei. Mit der sorgfältig aufgemachten, umfangreichen Textsammlung, die Biografie, Werk und Wirkungsgeschichte vorstellt, will Oskar Ansull – zum 101. Todestag am 28. Januar – einen Anstoß geben, »dass Karl Emil Franzos, dieser frühe Europäer, künftig nachhaltig nicht mehr ignoriert werden kann.«

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