Gehalten am 10. Oktober 2024 im Simón-Bolívar-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
werte Festgesellschaft,
liebe Karolina,
lieber Bernhard!
»Die Dinge in unserer Wohnung ›stritten‹ ein wenig miteinander…. Eine Mahagoni-Anrichte mit kleinen Kristallscheiben und der Aufschrift ›Bromberg‹ im Inneren, schön und elegant, im Regal ein deutscher Atlas mit Hakenkreuz auf dem Schutzumschlag – und daneben ein Tisch aus Kiefernholz, gekauft in einem sozialistischen Kaufhaus, und ein sowjetisches Radio in einem Sperrholzkasten. Als Kind war ich sehr beunruhigt darüber, warum man genauso herrliche Sachen wie die, die von den Deutschen übrig geblieben waren, nicht einfach in den Geschäften kaufen konnte.«
(Stefan Chwin, Ein deutsches Tagebuch)
Auf augenzwinkernde Weise schildert Stefan Chwin seine ganz persönlichen Erfahrungen als Kind im Nachkriegs-Danzig. Vielen polnischen Neusiedlern ging es ähnlich, als sie nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs in Danzig, Schlesien oder Pommern strandeten. Noch viele Jahre später spielte Olga Tokarczuk als Kind in Niederschlesien auf alten deutschen Friedhöfen, deren Grabinschriften sie nicht lesen konnte. Rückblickend beschreibt sie ein unbehagliches Gefühl, das sich ihrer bemächtigte, das Gefühl, ungefragt den Raum eines anderen betreten zu haben. Olga Tokarczuk nennt es deshalb das »Schneewittchensyndrom«.
Karolina Kuszyk hat genau diese von Stefan Chwin und Olga Tokarczuk beschriebenen emotionalen Ambivalenzen zum Ausgangspunkt ihrer großartigen Entdeckungsreise gemacht: Sie nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Spurensuche nach dem Poniemieckie – dem ehemals Deutschen. Dabei muss unsere heutige Preisträgerin wahrhaft dicke Bretter bohren. Denn es geht um nicht weniger als eine kulturelle Aneignungsgeschichte, die bereits achtzig Jahre andauert. Dieser Aneignungsprozess verlief schmerzhaft, leidenschaftlich und war niemals frei von Absurditäten und Widersprüchen. Auf wunderbare Weise zeigt Kuszyk jene Gratwanderungen zwischen ideologischem Anspruch und dem notwendigen Pragmatismus im privaten Alltag. Über allem schwebt die Kernfrage:
Wie geht man mit dem ungeliebten Fremden um, wann wird es das Eigene oder kann das fremde Erbe überhaupt jemals zum Eigenen werden?
Meine Damen und Herren,
Poniemieckie – ehemals deutsch. Das war zunächst für unser Nachbarland Polen bis zum 8. Mai 1945 der brutale Wirklichkeit gewordene Albtraum. Denn alles, was 1945 ehemals deutsch war, stand für Krieg, Zwangsarbeit, Besatzungsherrschaft und Vernichtung. Alles Deutsche war deshalb ausnahmslos kontaminiert. Am liebsten wollte man die Geschichte austilgen, unsichtbar machen, weil der Schmerz und das erfahrene Leid nach fast sechs Jahren Krieg Millionen polnischer Biographien aus den Fugen gerissen hatten.
Doch dann der Schock: Stalins Entscheidung, Polen nach Westen zu verschieben, fand die Zustimmung der Siegermächte. Auch die staatlichen Kräfte in Polen begrüßten die Entscheidung. Doch das Verschieben von Landkarten traf am Ende Millionen Menschen – ganz konkret. Für viele Polen bedeutete das eine Zumutung. Denn nun waren sie gezwungen, dort zu leben, wo bis vor kurzem Millionen Deutsche wohnten, die gerade geflohen oder vertrieben worden waren, mancherorts teilweise sogar noch vor Ort lebten. Im Land der Feinde, das nun Teil Polens wurde. Diese kurzzeitige Zwangsgemeinschaft von Polen und Deutschen in den gerade polnisch gewordenen Gebieten erlebte auch der ehemalige Chefdramaturg der städtischen Bühnen in Breslau, Hugo Hartung, als er Ende Juni 1945 kurzzeitig nach Breslau zurückkehrte. Beim Anblick eines gerade eintreffenden Transports polnischer Vertriebener schrieb er:
»Ein anderer Menschenzug schiebt sich dem unseren entgegen, mit Karren und Kinderwagen, müde trottend, elend, endlos lang: Polen aus dem Gouvernement Lemberg. Sie sind in der Stadt noch nicht heimisch, in der wir nicht mehr heimisch sind. Wie Marionetten eines unbegreiflichen Schicksals bewegen sich die stummen Züge aneinander vorbei.« (32)
Millionen Polen hatten 1945 alles verloren und standen vor dem Nichts. Sie fanden sich in einem neuen Land wieder, mit neuen Grenzen, das vielen von ihnen völlig fremd war. Die Menschen mussten ihren Platz suchen, zunächst nur um zu überleben, ein Dach über dem Kopf zu haben. Das ließ viele auch in die neuen West- und Nordgebiete ziehen, wie die deutschen Ostgebiete offiziell hießen, die nun zu Polen gehören sollten.
Es war das Land der Feinde von gestern, welches ihnen die Propaganda jedoch als urpolnische Gebiete verkaufte. Unermüdlich unterstrich sie die historische Verbindung jener Wiedergewonnenen Gebiete zu Polen. Es war eine in vielem gebrochene und vor allem heterogene Gesellschaft, die notdürftig zusammengehalten wurde mit dem Kitt der kommunistischen Propaganda. Allen war jedoch insgeheim bewusst, dass es sich hierbei um eine historische Lüge handelte. Denn vielmehr als die Propaganda glauben machen wollte, saßen viele Ältere mental auf gepackten Koffern, denn sie fürchteten, dass das Rad der Geschichte zurückgedreht und ihnen durch die mögliche Rückkehr der Deutschen ihr Zuhause genommen würde.
Poniemieckie bedeutete für die Menschen vor Ort damit eine neue, eine andere und vor allem eine ganz persönliche Erfahrung. »Die neuen Bewohner begannen ein neues Leben und mussten auch sich selbst neu erfinden«, meint Karolina Kuszyk (Seite 14) Doch sie kamen auch mit ihren tiefen Erfahrungen, Albträumen und Ängsten: »Ich wohne mit meiner Familie in einem alten deutschen Haus – heißt das, dass wir für immer in Angst und Schrecken leben müssen?«, zitiert Karolina Kuszyk eine Einwohnerin aus dem Oppelner Schlesien. (Seite 24)
Ein Drittel aller Polen – so Adam Krzemiński – lebte nach 1945 in ehemals deutschen Häusern. Und selbst die große Lebenslüge der polnischen Kommunisten, ihren eigenen Landsleuten das Leben im ehemals Deutschen als Heimkehr oder Rückkehr zu verkaufen, konnte über eines nicht hinwegtäuschen: Alles sprach Deutsch: Häuser, öffentliche Gebäude, Fabriken, Straßen, Kirchen, Friedhöfe. Einfach alles: Möbel, Werkzeuge, Gefäße, Kleidungsstücke, Bilder an den Wänden und selbst die Einmachgläser in den Kellern.
Die neuen Bewohner waren gezwungen, sich mit dem ungeliebten Erbe zu arrangieren. Zwar fuhr die staatliche Propaganda großspurig auf. Doch das alles blieb stets brüchig. Konnte der Staat noch tilgen, ausradieren, uminterpretieren, sich Lüge und Instrumentalisierung zu eigen machen. Die Menschen vor Ort konnten es nicht. Die Wahrheit kam spätestens dann ans Licht, wenn sie ihre neuen Häusern und Wohnungen betraten. Deshalb bedeutete es geradezu eine Schizophrenie für die polnischen Neusiedler, weshalb Karolina Kuszyk die Frage stellt, »was es für die Psyche des Menschen bedeutet, wenn er sich in den Hinterlassenschaften eines eben noch verfeindeten Volks ein neues Leben aufbauen muss?« (14)
Manche der neuen Bewohner entwickelten ihre ganz eigenen Strategien für eine private Entdeutschung. Sie versuchten in ihren neuen Wohnungen buchstäblich alles Deutsche herauszufegen, wegzuschrubben, rissen Tapeten von den Wänden. Doch es schien nicht zu helfen. Überall lugte das ehemals Deutsche hervor. »Auf Schritt und Tritt finde ich Dinge, die jemand anderem gehören und von einem anderen Leben zeugen, von dem ich nichts weiß, von den Menschen, die dieses Haus gebaut und hier gewohnt haben«, erinnert sich Joanna Konopińska aus Breslau.
Tomasz Różyckis Gedicht Totems und Perlenketten, das Karolina Kuszyk ihrem Buch vorangestellt hat, liest sich wie eine poetische Verdichtung ihres gesamten Buches.
»Alles bei mir war früher deutsch – deutsch war die Stadt
Deutsch waren die Wälder und deutsch waren die Gräber,
deutsch war einst die Wohnung, deutsch waren die Treppen,
die Uhr, der Schrank, der Teller, deutsch waren das Auto,
die Jacke wie auch das Glas, die Bäume, das Radio,
und ich errichtete mir auf genau diesem Plunder
ein Leben, auf diesen Resten werde ich herrschen,
werd‘ sie verdauen, zersetzen, ich soll auf ihnen
ein Vaterland bauen […]«.
Genau das ist es: Konnte es gelingen, Wurzeln zu schlagen und wirklich Heimat zu finden? Das gestaltete sich bereits schwierig bei der Bezeichnung für die neuen Gebiete: Während eine Herkunft aus altpolnischen Landschaften wie Masowien, Kujawien, der Suwałszczyzna, aber eben auch den einstigen Ostgebieten – den kresy – ganz selbstverständlich ist und nicht erklärt werden braucht, wird es bei Polens Wildem Westen (Beata Halicka) schon schwieriger, weshalb Karolina Kuszyk auch dieses Dilemma für eine dauerhafte Beheimatung umreißt: »Ich bin in einem Teil Polens aufgewachsen, für den bis heute niemand einen richtigen Namen gefunden hat«. (Seite 15)
Das Buch »In den Häusern der anderen« von Karolina Kuszyk in der Übersetzung von Bernhard Hartmann. Foto: © Deutsches Kulturforum östliches Europa, Markus Nowak
Poniemieckie – ehemals deutsch. Über allem lag dieser Fluch, über den Dingen wie dem Immateriellen. Alles war kontaminiert. Alles eine Zumutung, zumindest jedoch eine Herausforderung. Poniemieckie – diesen Titel trägt auch Karolina Kuszyks polnische Originalausgabe. Eigentlich scheint dieser Titel in seiner vieldimensionalen Bedeutung unübersetzbar, was ihr Buch auch facettenreich dokumentiert. In der deutschen Ausgabe ist In den Häusern der Anderen daraus geworden, nicht ganz wörtlich, aber im übertragenen Sinne. Doch wenn man das Buch liest, merkt man, dass die Themen Haus und Behaustheit natürlich eine große Rolle bei Kuszyks Spurensuche einnehmen. Selbstverständlich auch die Unbehaustheit, zumindest die mentale. Sie schreibt vom Gefühl, am falschen Ort zu sein: Die Fremdheit zu spüren, zugleich aber offiziell gesagt bekommen, man sei nur zurückgekehrt und all das seien urpolnische Gebiete.
»Ich überlegte auch, was ein deutsches Haus tun musste, um ein polnisches zu werden«, fragt Karolina Kuszyk. »Was ist ein ehemals deutsches Haus? Ein deutsches, das sich später als polnisches ausgibt? Ein schizophrenes, in der Mitte geteiltes, dessen Bewohner unablässig mal die eine, mal die andere Seite beobachten? Oder wollen vielleicht die beiden Seiten nichts voneinander wissen, wie in den Doppelhäusern, deren eine Hälfte blau und die andere rot gestrichen ist, weil es den Bewohnern nicht einfiel, sich abzustimmen? Ist ein deutsches Haus aus der Vorkriegszeit politisch suspekt, so wie es Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit für manche sind?« (Seiten 25/26)
Genau diese Ambivalenz bringt Karolina Kuszyk auf den Punkt. Dabei nutzt sie das gesamte Spektrum ihrer erzählerischen Talente. Überall blitzt ihr Witz auf, ihre feine Beobachtungsgabe für die kleinen Details und natürlich ihre bittersüße Ironie. Und das Buch liest sich erfrischend leicht. Das liegt vor allem daran, weil Karolina Kuszyk souverän zu erzählen versteht, befreit vom schweren Ballast der Vergangenheit, von Ideologie und nationalistischen Denkmustern. Deshalb liest sich das Buch wie eine Neuvermessung der polnischen Nachkriegsgeschichte in einer ehemals deutschen Region. Das Buch erzählt ohne Gedöns von einer spannenden Spurensuche. Zugleich ist Karolina Kuszyk auch unmittelbar Beteiligte an diesem Prozess, denn sie wählt ganz bewusst einen privaten Zugang über individuelle Erfahrungen. Vor allem um Menschen, denen sie begegnet. Ihre eigene Familiengeschichte webt sie auf unaufdringliche Art und Weise in ihre Erzählung hinein. Sie zeigt, wie jeder und jede Teil dieser großen Aneignungsgeschichte wurde. Nicht zuletzt Karolinas Großmutter Maria, die es nach dem Krieg als sogenannte Repatriierte aus Galizien nach Niederschlesien verschlägt. Überall in den Kellern der ehemaligen deutschen Bewohner lagern Einmachgläser mit Marmeladen und Kompott. Auch diese sind Poniemiecki. Entgegen aller Warnungen der Nachbarn, dass alles Eingemachte von den deutschen Nazis vergiftet worden sei, gibt Maria »und ihre Neigung zu gastrischen Abenteuern« nicht viel auf das Gerede. Und »so wanderte der Inhalt der Weckgläser in die polnischen Mägen der Fabians und den polnisch-ukrainischen Magen meines kleinen Vaters. […] Oma Maria stellte sich wagemutig als Vorkosterin zur Verfügung. Sie hatte keine Angst, sich zu vergiften. Sie hatte den Krieg gegen die Deutschen, den Krieg gegen die Sowjetunion, den polnisch-ukrainischen Krieg, die Deportation ihres Mannes ins Lager und die Aussiedlung überlebt, und vermutlich war im Vergleich dazu eine Vergiftung ein lächerlicher Klacks und kein Grund, sich anzustellen«. (Seite 138)
Aus dem Kleinen, dem Privaten, gelingt es ihr, diese Epoche großer Umbrüche sichtbar zu machen. Dabei zeichnet sie den nimmermüden Pragmatismus nach, den Menschen an den Tag legen, wenn es um das ehemals Deutsche geht. Mittlerweile hat sich das Blatt ohnehin längst gewendet. Ehemals deutsch ist vielfach ein Gütesiegel, mit dem emsig geworben wird.
Meine Damen und Herren,
Karolina Kuszyk würde das sicher weit von sich weisen:
Aber sie arbeitet im besten Sinne interdisziplinär: als Archäologin, Anthropologin, Soziologin, Kulturwissenschaftlerin, Historikerin, Polonistin wie gleichermaßen Germanistin, Ethnologin und vielleicht auch ein bisschen als Ärztin und Therapeutin, indem sie gleich mehrere schmerzhafte Schichten der Nachkriegsgeschichte freilegt, die häufig unsichtbar für die Öffentlichkeit blieben, weil sie zumeist im Privaten erlebt und erfahren wurden.
Ihr gelingt mit diesem Buch etwas Großartiges, indem sie der kollektiven Erfahrung von Krieg, Besatzung, Flucht und Heimatverlust auf eine sehr persönliche und damit nachvollziehbare Ebene herunterbricht. Auf ihrer vielschichtigen Spurensuche vermisst sie zugleich Schritt für Schritt diesen polnischen – ehemals deutschen – Westen.
Meine Damen und Herren,
dieser Preis zeichnet gleichfalls den Übersetzer aus: Bernhard Hartmann. Trotz vieler Sonntagsreden hat unser Nachbarland immer noch einen schweren Stand in Deutschland. Vieles muss leider immer noch erklärt werden, ist nicht selbstverständlich Teil eines klassischen Bildungskanons. Deshalb braucht es die Übersetzung und damit im besten Sinne die Vermittlung durch Literatur. Und dafür gibt es Bernhard Hartmann. Jeder, der sich mit dem Thema Polen in deutscher Sprache beschäftigt, kennt ihn. Deshalb möchte ich Bernhard Hartmann an dieser Stelle sehr herzlich gratulieren!
Er macht etwas möglich, was wichtiger denn je ist, auch mit diesem Buch: uns Deutschen Polen näher zu bringen, durch die Kraft der Übersetzung. Immer wieder neue und alte literarische Schätze zu heben, die jenseits von Oder und Neiße entstanden. Das ist ein Verdienst, das leider viel zu oft verkannt wird. Bernhard Hartmann verleiht Karolina Kuszyks wichtigem Anliegen eine Sprache, die lange nachklingt und uns am Ende erreicht und berührt. Dafür ganz herzlichen Dank!
Karolina Kuszyk und Bernhard Hartmann während ihrer Dankesreden. Foto: © Deutsches Kulturforum östliches Europa, Markus Nowak
Entstanden ist ein schönes und kluges Buch. Und zugleich ein mutiges. Das ist das schönste Geschenk, dass Karolina Kuszyk uns mit diesem Buch machen konnte. Es lässt uns bei allem Schrecklichen der Vergangenheit vor allem nach vorne blicken. Denn diese atemberaubende kulturelle Aneignung ist am Ende auch ein ungemeiner Schatz, der Polen und Deutsche verbindet statt trennt. Doch die Zeitläufte zeigen, dass Gewissheiten nicht in Stein gemeißelt sind und der Nationalismus mitten in Europa wieder Hass und Feindschaft gegen DIE Anderen sät. Kuszyks Buch endet deshalb mit einem eindringlichen Appell, der wie für unsere ganz konkrete Gegenwart geschrieben zu sein scheint.
»Ich bin fest überzeugt«, sagt Karolina Kuszyk, »dass wir uns das ehemals Deutsche auf unterschiedliche Weise erzählen müssen, dass wir hineinlauschen müssen in das, was die Menschen sagen und verschweigen, die bald nicht mehr da sind«. Daraus folgt, dass das ehemals Deutsche seinen Schrecken endgültig verliert und Teil des Eigenen werden kann und darf. Sie fährt fort:
»Der Mensch hat das Recht, mehrere Identitäten zu haben. Auch eine ehemals deutsche. Wenn wir uns um jeden Preis einen reinen Ursprung zulegen wollen, wenn wir uns in der Festung des absolut Polnischen verschanzen, dann kann sich eines Tages herausstellen, dass wir uns wieder unfreiwillig einrichten müssen, weil wir nichts getan haben, um es zu verhindern«. (Seite 368)
Dieser Appell jedoch richtet sich gleichermaßen an uns Deutsche. Und darüber hinaus. Karolina Kuszyks Buch zeigt, dass Nationalismus uns alle beschränkt und dabei engstirniger und kleiner macht. Sie zeigt zugleich auf überzeugende Weise, dass das Uneindeutige – das Dazwischen – die eigentliche historische Wirklichkeit abbildet.
Karolina Kuszyk erzählt eine ganz besondere, man könnte sogar sagen, alternative Geschichte Westpolens – wegweisend und authentisch. Sie begibt sich auf ein bewegendes Abenteuer, unternimmt immer wieder und auf verblüffende Art und Weise Tiefenbohrungen in die mentale Verfasstheit einer durch Krieg und Nachkrieg versehrten Gesellschaft vor. Am Ende wird klar, dass jedem Ankommen ein langer Weg vorausgeht und selbst diese Gewissheit trügerisch sein kann.
Karolina Kuszyk beschreibt auf einfühlsame und kluge Weise die mitunter schmerzhaften Prozesse kultureller Aneignung, von Abwehr und Hassliebe, von Verwerfungen und Annäherungen, von all dem, was poniemieckie eben ausmacht. Deshalb ist für alle, die das Polen der Gegenwart verstehen wollen, dieses Buch unverzichtbar.
Deshalb, liebe Karolina, lieber Bernhard, von Herzen gratuliere ich Euch zu dieser verdienten Auszeichnung!
Herzlichen Glückwunsch!
Andreas Kossert ist ein deutscher Historiker und namhafter Kenner der Geschichte Ostmitteleuropas.
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