Bericht und Impressionen von der Preisverleihung 23. September 2010 im Haus der Kulturen der Welt Berlin / im Rahmen des internationalen literaturfestivals berlin 2010
Dr. Klaus Harer (Text) und Anke Illing (Fotos)
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Die siebenköpfige Jury unter dem Vorsitz von Nina Ruth Sottrell sprach den Hauptpreis dem österreichischen Schriftsteller Martin Pollack für sein Gesamtwerk zu. In der Begründung der Jury heißt es:

»Martin Pollack hat mit seinem vielfältigen literarischen und journalistischen Schaffen die Erinnerungsorte im Osten Europas wieder zugänglich gemacht, die jahrzehntelang verdrängt und vom Eisernen Vorhang versperrt waren. Seit seiner ›imaginären Reise durch die verschwundene Welt‹ Galiziens und der Bukowina berichtet er von Chassiden und Huzulen, von Polen und Ruthenen. Nie hat er sich von der Parzellierung des Raumes durch Sprachgrenzen oder nationale Grenzen einschränken lassen, sondern er führt uns in die historische Landschaft zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, zwischen Weichsel und Don, in jene sarmatischen Landschaften, in denen, so Martin Pollack, ›die slawische und die deutsche Kultur aufeinander trafen, ja mehr als einmal unheilvoll und zerstörerisch aufeinander prallten – die Juden nur zu oft dazwischen, wie zwischen Mühlsteinen.‹ Doch Pollack bleibt nicht bei der Rekonstruktion und Wiederaneignung des Vergangenen. Als Herausgeber, Übersetzer und Vermittler hat uns Martin Pollack mit den Werken mehrerer Generationen von Autoren aus Polen und der Ukraine, aber auch aus Litauen und Belarus bekannt gemacht. Die jüngeren gehören heute zu den wichtigsten Stimmen ihrer Länder. Martin Pollacks Wirken verdanken wir eine Erweiterung unseres kulturellen Horizonts. Sein Werk ist ein bedeutender Beitrag zur Osterweiterung des europäischen Denkens.«

Der Ehrenpreis ging an Włodzimierz Nowak und die Übersetzerin Joanna Manc für das Buch Die Nacht von Wildenhagen. Zwölf deutsch-polnische Schicksale. Aus der Begründung der Jury:

»In der großen Tradition der polnischen Reportage stehend, sammelt Włodzimierz Nowak Geschichten im Grenzland: deutsch-polnische Schicksale kleiner Leute, die unter das Rad der großen Geschichte geraten sind. Den Bogen über die letzten 60 Jahre spannend, verfolgt Włodzimierz Nowak die Lebenswege seiner Protagonisten: Partisanenkämpfer, zwangsadoptierte Kriegskinder, mittellos Gestrandete, Glückssucher und andere Schengengrenzgänger, Studenten an der Viadrina und Opelmitarbeiter in Bochum und Gleiwitz/Gliwice. Minutiös recherchiert und im Ton sachlich-lakonisch und wertungsfrei, bringt er den Lesern mit großem erzählerischem Talent die Geschichten nahe, ohne dabei den Menschen zu nahe zu treten. Nicht nur in seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte der Vertreibung überschreitet er die gängigen Wahrnehmungsmuster und verschiebt die Grenzen der üblichen polnisch-deutschen Perspektiven – ganz im Sinne eines unausgesprochen bleibenden Plädoyers für ein europäisches Miteinander.

Gewürdigt wird mit dem Ehrenpreis zugleich die übersetzerische Leistung von Joanna Manc, die die Reportagen glänzend und kongenial ins Deutsche gebracht hat, um sie so auch dem deutschsprachigen Publikum zu erschließen.«

Die Laudatoren

Jurij Andruchowytsch | Laudator für Martin Pollack
Jurij Andruchowytsch, geb. 1960, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller der Ukraine. Seine Romane, Essays, Gedichte wurden in mehrere europäische Sprachen übersetzt und durch nationale und internationale Preise gewürdigt. In deutscher Sprache erschien zuletzt sein Roman geheimnis. 2006 wurde Andruchowytsch mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet.

Gerd Koenen | Laudator für Włodzimierz Nowak und Joanna Manc
Gerd Koenen, geb. 1944, Publizist und Historiker, hat durch seine langjährige Beschäftigung mit osteuropäischer Geschichte wesentlich zu einem differenzierten Bild deutsch-russischer und deutsch-polnischer Beziehungen beigetragen. Für das Buch der russland-komplex erhielt er 2007 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, den er mit Michail Ryklin teilte.

Zusammensetzung der Jury

  • Karl-Markus Gauß | Publizist und Kritiker, Salzburg
  • Verena Kling | Goethe-Institut München
  • Prof. Dr. Joachim Rogall | Leiter des Programmbereichs Völkerverständigung Mitteleuropa, Osteuropa der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart
  • Dr. Manfred Sapper | Chefredakteur der Zeitschrift osteuropa, Berlin
  • Dr. Stefan Sienerth | Leiter des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V., München
  • Dr. Nina Ruth Sottrell | Lektorin und Kulturmanagerin, Berlin | Juryvorsitzende
  • Dr. Beate Störtkuhl | wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg, als Vertreterin des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien

Dr. Doris Lemmermeier

Dr. Doris Lemmermeier
Prof. Dr. Joachim Sartorius
(v. l. n . r.) Überreichte die Preise an Martin Pollack, Joanna Manc und Włodzimierz Nowak: Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel
Der Berliner polnische Pianist Tomasz Kowalczyk sorgte für die musikalische Umrahmung des Festaktes.
Gut 150 Gäste waren der Einladung des Deutschen Kulturforums in das Haus der Kulturen der Welt gefolgt.
Helga Hirsch im Gespräch mit dem Jurymitglied Manfred Sapper
Der Regionalforscher Zbigniew Czarnuch aus Witnica/Vietz in der Neumark, Preisträger des Georg-Dehio-Kulturpreises 2009
Katharina Raabe im Gespräch mit Joanna Manc
Basil Kerski und Doris Lemmermeier
v.l.n.r.: Juri Andruchowitsch, Volker Koepp, Gerd Koenen
Winfried Smaczny, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Kulturforums östliches Europa
v.l.n.r.: Helga Hirsch, Ingeborg Berggreen-Merkel, Doris Lemmermeier