Kulturkorrespondenz östliches Europa – Ausgabe 1426
Ausgabe November/Dezember 2021
Titelblatt der KK 1426 | November/Dezember 2021

Editorial

Als »örtlich bedingte Sprachform innerhalb einer Sprachengemeinschaft« definiert der Große Brockhaus eine Mundart. Unser Titelbild stammt aus dem Brockhaus, aber keine Sorge, wir haben eine Kopie der Seite angefertigt. Uns wäre es nicht in den Sinn gekommen, mit einem Textmarker in der altehrwürdigen Enzyklopädie anzustreichen. Zumal diese Ausgabe aus der Bibliothek des Kulturforums in Potsdam aus dem Jahre 1955 stammt und damit fast schon Sammlerwert hat.

Musealen Wert haben auch – und so kommen wir zurück zum Schwerpunktthema des Heftes – einige Dialekte. Insbesondere die deutschen Mundarten aus dem östlichen Europa. Im Zuge von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung sind sie in den Ursprungsregionen fast gänzlich ausgestorben und gerieten auch in Deutschland zunehmend in Vergessenheit. Nur selten wurden etwa sudetendeutsche, schlesische oder memelländische Mundarten an die nächste Generation weitergegeben, da in der Schule oder im öffentlichen Leben in der neuen Umgebung nach 1945 meist schon ein anderer Dialekt vorherrschte. »Nach dem Krieg wurden die Leute bewusst nicht kompakt angesiedelt, sondern zerstreut. Man wollte sie nicht zu einer politischen Einheit werden lassen, damit niemand auf die Idee kommt, geschlossen wieder in die alten Gebiete umsiedeln zu wollen«, sagt Heinrich J. Dingeldein im KK-Interview. Jahrelang forschte er zu Mundarten und erklärt im Gespräch, wie sich die Dialekt-Landschaft Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte.

Ein Beispiel greift Katharina Dück, die am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache arbeitet, in ihrem Beitrag heraus und schreibt über die »vielfältigen Dialekte der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion«. Ihre These: Im Gepäck hatten die Spätaussiedler mit ihren russlanddeutschen Dialekten ein »großes immaterielles Erbe«. Martin Pabst konzentriert sich in seinem Text – passend zu seiner neuen Beschäftigung im Kulturforum als Referent für das Baltikum – auf das baltische Deutsch. Eine heute geradezu aufblühende Mundart beschreibt die Kirchen- und Kulturhistorikerin Evelyne A. Adenauer: Es geht um den Dialekt der heutigen Oberschlesier, die ślōnskŏ gŏdkã. Passend zum Schwerpunktthema beschreibt Elisabeth Fendl, am Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE) in Freiburg für das Tonarchiv zuständig, die Entstehung dieser Fundgrube für ostdeutsche Dialekte. Empfehlen möchten wir Ihnen auch den Essay der Stadtschreiberin von Odessa/Odesa Ira Peter über die Narben der deutsch-jüdischen Geschichte in der Ukraine.

In unserem letzten Heft in diesem Jahr möchten wir es nicht versäumen, Ihnen für Ihr Interesse an unseren Themen zu danken und ein gutes Weihnachtsfest samt einem guten Hineingleiten ins neue Jahr zu wünschen. Nun aber wünschen wir erst einmal eine erkenntnisreiche Lektüre.

Ihre Redaktion

Inhalt


Im Fokus

Momente
Das oberschlesische Herz schlägt po naszymu
Über Zeiten und Räume verbindet die ślōnskŏ gŏdkã alle Oberschlesier
Von Evelyne A. Adenauer

Perspektiven
Im Gleichklang des Schweigens
Die Narben der deutsch-jüdischen Geschichte in der Ukraine sind auch nach Jahrzehnten unter der Oberfläche sichtbar
Von Ira Peter

Neuigkeiten

Momente II
»Erbarmung!«
Von den »Eijenheiten« des baltischen Deutsch
Von Martin Pabst

Im Gespräch
»Mit Dialekten definieren sich Gemeinschaften«
Interview mit Heinrich J. Dingeldein
Von Markus Nowak

Rezensionen

Qualmende Schornsteine statt Publikum
Eleonora Hummel: Die Wandelbaren
Von Larissa Mass

»Wir waren die Flüchtlinge«
Sonderausstellung »Neuanfänge – Heimatvertriebene in Bayern«
Von Markus Bauer

Königsberg im Herzen
Klaus Weigelt: 40 Jahre für die Stadtgemeinschaft
Königsberg (Pr)
Von Harald Roth

Epochen I
Sprache im Gepäck
Von den vielfältigen Dialekten der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion
Von Katharina Dück

Epochen II
»Naturgetreue Tonbilder«
Das Tonarchiv des Instituts für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa als Fundgrube für Dialekte
Von Elisabeth Fendl

Veranstaltungen

Fundstück