Über Jahrhunderte prägte die Gutswirtschaft den ländlichen Raum in Estland und Lettland. Der überwiegende Teil der Gutshöfe befand sich im Besitz deutschbaltischer Adeliger, die mit den Ordensrittern seit dem 13. Jahrhundert ins Land gekommen waren. Nach dem Zusammenbruch des Ordensstaates Mitte des 16. Jahrhunderts wurden auch Begünstigte der jeweiligen Landesherren zu Gutsbesitzern, das waren Angehörige der schwedischen, polnisch-litauischen und ab dem 18. Jahrhundert der russischen Aristokratie. Die meisten der heute erhaltenden Herrenhäuser und Gutsanlagen entstanden in der zweiten Hälfte des 18., während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Mit dem Entstehen der Nationalstaaten Estland und Lettland nach dem Ersten Weltkrieg und der Agrarreform 1919/20 endete die wirtschaftliche Vormachtstellung des Adels. Viele der Gutshöfe konnten nicht mehr gehalten werden und wurden bereits in den 1920er Jahren aufgegeben. Nach der Umsiedlung der Deutschbalten 1939/40 und der Okkupation Estlands und Lettlands durch die Sowjetunion 1940 und 1945 änderte sich die wirtschaftliche Lage der Güter grundlegend. Das bauhistorische Erbe des erklärten Klassenfeindes wurde von den sowjetischen Machthabern wenig geschätzt. Die Gebäude, die nicht als Wohnhäuser, Schulen, Erholungsheime oder Verwaltungszentren von Kolchosen genutzt wurden verfielen. Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit von Estland und Lettland 1990 wandelte sich die Situation erneut. Viele der bis jetzt genutzten Bauwerke verloren ihre Funktion, andere gingen in Privatbesitz über und wurden u.a. in Hotels umgewandelt. Um eine sinnvolle Neunutzung der ehemaligen Herrenhäuser und Gutsanlagen zu finden, ist eine Akzeptanz dieses bauhistorischen Erbes in der Bevölkerung vor allem vor Ort eine wichtige Voraussetzung.
Wie vermittelt man die Geschichte des deutschbaltischen Adels in Estland und Lettland heute? Was wissen die Menschen in Estland und Lettland über die Geschichte der Herrenhäuser und Gutsanlagen allgemein und über den bauhistorischen Wert einzelner Gebäude? Welchen Stellenwert haben diese für sie und inwiefern tragen sie zur Identität der Menschen in der Umgebung bei? Diesen Fragen wird in zwei Kurzvorträgen und einem Gespräch angegangen.
Begrüßung
Kurzvorträge
Podiumsgespräch
Das Leben in den Herrenhäuser und Gutsanlagen heute
Prof. Dr.-Ing Sabine Bock ist Architekturhistorikerin, Denkmalpflegerin und Hochschullehrerin i. R.. Sie studierte Architektur an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar und war von 1981 bis 1987 zunächst Konservatorin und später Oberkonservatorin am Institut für Denkmalpflege der DDR in Schwerin. Bis 1989 arbeitete sie in München und ab 1993 bis 1997 als Oberkonservatorin in Bamberg als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bayrischen Landesamt für Denkmalpflege. Sabine Bock lehrte zudem an der Fachhochschule Coburg Altbausanierung und Sanierungstechnologie sowie an der Universität Bamberg praktische Denkmalpflege. 2005 ging sie aus gesundheitliche Gründen in den Ruhestand und lebt seitdem in Schwerin. Sabine Bock ist eine ausgewiesene Kennerin der Gutshausarchitektur. Seit über dreißig Jahren erforscht sie ausgehend von den Herrenhäusern und Gutsanlagen in Mecklenburg und Pommern, den Bautypus des Herrenhauses im Ostseeraum. Ein Schwerpunkt ist das Baltikum. Letztes Jahr erschien ihr zweisprachiges Buch Herrenhäuser in Estland/Mõisad Eestis. Der erste Band ihrer Arbeit über die Typologie der Herrenhäuser im Ostseeraum erscheint im September.
Dr. Agnese Bergholde-Wolf studierte von 2000 bis 2008 Kunstgeschichte, Osteuropäischen Geschichte und Baltischen Philologie an der Universität Münster. 2008 war sie Mitarbeiterin am Staatlichen Amt für Denkmalpflege Lettlands in Riga. Ende 2011 wurde sie an der Kunstakademie Lettland in Riga promoviert. Thema ihrer 2015 publizierten Dissertation ist die mittelalterliche Architektur und Bauplastik des Doms zu Riga im europäischen Vergleich. 2013–2014 arbeitete sie als Mitarbeiterin für ein (SAW) Projekt der Leibniz-Gesellschaft im Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation »DigPortA« am Herder-Institut. Seit 2013 ist sie Mitarbeiterin des Herder-Instituts in Marburg. Sie war 2016–2017 Koordinatorin des Projekts »Mittelalterliche Architektur in Livland« sowie des Projekts »Forschungsinfrastruktur Kunstdenkmäler in Ostmitteleuropa« (FoKO). Agnese Bergholde-Wolf ist die Kuratorin der 2019 in Zusammenarbeit zwischen dem Herder-Institut und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa erstellten Wanderausstellung Adeliges Leben im Baltikum. Herrenhäuser in Estland und Lettland sowie die Autorin des gleichnamigen Katalogs.
Ihr Forschungsinteresse gilt der Kunst- und Architekturgeschichte Ostmitteleuropas, insbesondere dem Baltikum.
Prof. Dr. Olaf Mertelsmann studierte von 1990 bis 1995 an der Universität Hamburg Geschichte, Germanistik, Pädagogik und Finnougristik. Im Jahr 2000 wurde er an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über »Zwischen Krieg, Revolution und Inflation. Die Werft Blohm & Voss 1914–1923« promoviert. Er war von 1996 bis 1998 Lektor an der Universität Tartu, Estland, und von 1998 bis 2002 an der Staatlichen sowie an der Pädagogischen Universität Novosibirsk, Russische Föderation tätig. Seit 2003 arbeitet er wieder an der Universität Tartu, zuerst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Dozent und seit 2020 als Professor für Osteuropäische Geschichte. 2005 habilitierte er sich an der Universität Tartu. Die Schwerpunkte seiner Forschung sind: Stalinismus, sowjetische und baltische Geschichte, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Olaf Mertelsmann ist Autor bzw. Mitautor von fünf Monografien, Herausgeber bzw. Mitherausgeber von neun Sammelbänden.
Eine Anmeldung ist verpflichtend.
E-Mail:
F.: +49 (0)331 20098-50
Die Teilnehmerzahl ist auf 40 beschränkt, Anmeldungen werden der Reihe nach berücksichtigt und bestätigt. Bitte Masken nicht vergessen!
Die planmäßige Durchführung dieses Terminangebots steht unter dem Vorbehalt möglicher Einschränkungen durch staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Covid19-Pandemie. Etwaige Änderungen teilen wir schnellstmöglich auf unserer Internetseite mit.
Die Veranstaltung wird aufgezeichnet und kann zeitnah danach jederzeit auf dem YouTube Kanal des Kulturforums abgerufen werden. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.
Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Zusammenarbeit mit der Botschaft von Estland, Berlin, und der Botschaft Republik Lettland in der Bundesrepublik Deutschland
Das Kulturforum wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Datum | Di, 07.09.2021 |
Zeit | 19:00 Uhr |
Eintritt | Kostenfrei |
Barrierefrei | Nein |
Botschaft der Republik Estland in Berlin
Hildebrandstraße 5, 10785 Berlin, Deutschland
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