Laudatio gehalten am 5. Oktober 2023 im Festsaal des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung (Deutschlandhaus) in Berlin
Eine Weisheit der alten Griechen besagt, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen könne. Was allerdings nicht bedeutet, dass man es nicht anstreben könnte – auch und obwohl man etliche Male selbst Zeuge davon werden musste, wie manche Dinge den Bach runtergehen. Aber was ist schon ein wiederholtes Privat- oder Gruppenversagen, wenn man es mit all den Katastrophen vergleicht, denen wir, aber vor allem unsere Vorfahren im Laufe des 20. Jahrhunderts ausgeliefert waren. In eben diesem Kontext bietet oder gebietet es sich vielleicht umso mehr, einen weiteren Versuch zu starten und ein weiteres Scheitern eventuell sogar in Kauf zu nehmen. Warum? Weil man es kann – und dabei vielleicht auch etwas Interessantes lernen und erleben kann!
Die Autoren des Films »DFC – Legenda se Vrací« (v.l.n.r.): Martin Vaško, Ondřej Kavan, Dr. Thomas Oellermann. Foto: privat
So etwas mögen sich ein paar Freunde im Prag des Jahres 2016 gedacht haben, als sie sich dazu entschlossen, den traditionellen, wenn auch längst aufgelösten und von Vergessenheit bedrohten Fußballverein DFC alias »Deutscher Fußballclub« wiederzugründen. Der Kontext dieses mutigen Schrittes im Vergleich zur Gründung des Originals vor mehr als 125 Jahren, im Jahre 1896, könnte nicht unterschiedlicher sein. Aber vielleicht gerade deswegen wollten die Enthusiasten ein Stück reinster mitteleuropäischer Geschichte herausfordern und sich selbstlos in den Dienst einer Legende und ihrer versuchten Rückkehr stellen.
Was daraus geworden ist – und ob man den alten Griechen und ihren Weisheiten auch dieses Mal Recht geben muss: Davon werde ich an dieser Stelle nichts erzählen. Denn um wie vieles besser, kompetenter und auch fesselnder erzählt der dokumentarische Film DFC: Die Legende kehrt zurück, resp. seine Autoren, Thomas Oellermann, Ondřej Kavan und Martin Vaško, davon! Für alle, die diesen Film bereits gesehen haben, ist klar, dass es wirklich sinnlos wäre, es mit ihnen und ihrem Enthusiasmus bei der Zeugenschaft der Rückkehr dieser alten fußballerischen Legende aufnehmen zu wollen. Dafür ist ihr Zugang zu diesem kulturhistorischen Experiment zu warmherzig und zu pfiffig.
Nein, das geht nicht. Es wäre auch nicht sinnvoll. Dieser Film mit seiner Erzähltechnik, seinem Inhalt und seinen Autoren, liegt auf der gleichen Wellenlänge wie jene Enthusiasten, die den alten DFC aufs Neue gedacht und wieder ins Leben gerufen haben. Während Red Bull angeblich Flügel verleiht, macht der DFC bei ergiebigerem Konsum sogleich süchtig. Doch diesmal süchtig im positiven Sinne. Und demjenigen, der diesem Zauber noch nicht erlegen ist, bleibt doch eines: genießen!
Der DFC-Bus am Altstädter Ring in Prag. Filmstill aus DFC: Die Legende kehrt zurück
Das Angebot ist groß! Denn es ist faszinierend, verfolgen zu können, wie facettenreich die Filmautoren uns zeigen, wie ein in der besten mitteleuropäischen Tradition stehender, gepflegter Fußballverein seine alte Existenz unter neuen Bedingungen wiedergewinnt. Genauso faszinierend ist es, wie der alte Geist Mitteleuropas, dem sich der Verein einst verschrieben hatte, in ihm und um ihn herum nun wieder lebendig wird!
Beides, die Neugründung wie auch die Filmerzählung machen keinen Hehl daraus, was alles in der Zwischenzeit passiert ist: Dass nicht nur der DFC, sondern auch ganz Mitteleuropa seinen Geist – zumindest vorübergehend – aufgeben musste. Doch diese Fakten und das Wissen um die komplizierte Vergangenheit wenden sich diesmal gerade nicht gegen die mutigen »Revisionisten«. Weder der Film, noch die Vereinsgründung wirken irgendwie aufgesetzt oder gar kitschig. Nein, in beiden Fällen handelt sich um ein Experiment, das mit viel Freude und Empathie unternommen wird.
Dies sollte man keineswegs für selbstverständlich halten. Es gab bereits viele andere Versuche im alten Mitteleuropa – wie zum Beispiel das Prager deutschsprachige Theater – Dinge wiederzubeleben oder zur Schau zu stellen. Dabei bewiesen die kommerziell, aber nicht nur kommerziell motivierten Antreiber nicht immer ein ausreichend gutes Fingerspitzengefühl. Vielleicht lag es daran, dass sie viel zu ergebnisorientiert waren und sich zu wenig von ihrer Begeisterung leiten ließen. Auf die Begeisterung kommt es wirklich an. Der heute prämiierte Film ist der beste Beweis dafür!
»Da ist das Ding!« Junge DFC-Kicker feiern einen Pokalgewinn. Filmstill aus DFC: Die Legende kehrt zurück
Dank der Begeisterung aller vom DFC angezogenen Fans – vor wie auch hinter der Kamera – ist alles bei der faktischen wie auch filmischen Rückkehr der Legende anders. Die Begeisterung der Herren Oellermann, Kavan und Vaško ist über weite Strecken ansteckend. Man kann dabei getrost vermuten, dass sie sich wiederum vom Enthusiasmus der Herren Emmerich Rath oder Paul Mahrer packen ließen. Ich rede dabei von zwei Herren, die als lebendige DFC-Ikonen in diesem Film firmieren und deren Schicksale einen speziellen Zugang zum Aufstieg und Fall des Zeitgeistes, von dem die Ära des DFC getragen wurde, ermöglichen.
Die Begeisterung beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Filmemacher. Es mag sein, dass sie grenzenlos ansteckend ist. Wie ließe sich sonst mein Gefühl erklären, wonach ich mich - wäre ich nur ein bisschen jünger oder hätte nicht so viele Dioptrien – sofort bei der alten Garde des DFC anmelden würde? So muss ich es halt den jüngeren Jahrgängen unter den Filmbesuchern überlassen, das Richtige an meiner Stelle zu tun. Vielleicht könnte auch unser Filip nach unserer Rückkehr aus Berlin beim DFC einsteigen. Er muss es nicht für mich oder für ein gutes deutsch-tschechisch-jüdisches Miteinander von damals im Prag von heute tun. Nein, er könnte dies einfach für sich selbst spaßhalber tun. Denn der DFC – so wie man ihn in dem Film kennenlernen kann – macht auch Spaß. Vielleicht sogar mehr Spaß als Sinn, und das ist gut so! Man kann nur allen Protagonisten, die bei der Rückkehr der alten Legende mitmachen, wünschen, dass diese Begeisterung ihnen allen erhalten bleiben mag.
In Anbetracht all dieser Verdienste und Leistungen, welche sich um die Produktion des Films DFC: Die Rückkehr einer Legende ranken, kann ich selbstverständlich nicht anders, als meine Freude auszudrücken. Meine Freude, dass diese Arbeit ihre gebührende Würdigung gefunden hat, indem sie mit dem Georg Dehio-Kulturpreis in diesem Jahr ausgezeichnet wird. Selbstkritisch muss ich eingestehen, dass mir vor der Filmbesichtigung die Namen seiner Autoren nicht geläufig waren. Das hat sich nun schlagartig geändert. Ich werde sie mir sehr gut merken. Und ich bin zuversichtlich, dass empathische Arbeit und positive Neugierde, also zwei Qualitäten, mit denen sich der gepriesene Film schmücken kann, sich auch in der heutigen Welt noch auszahlen!
Ich bin mir zwar nicht sicher, ob man den heutigen Preisträgern auch noch dazu gratulieren kann, dass sie mit der Rekonstruktion der Neugründung des DFC gekonnt in denselben Fluss wie ihre Vorgänger vor mehr als 125 Jahren gestiegen sind. Eins steht für mich aber außer Frage: Falls die Bestrebungen aller um den DFC herum geeinten Enthusiasten aus der altgriechischen Perspektive als Scheitern gelten sollten, dann kann ich nur sagen, dass ich sehr gerne bereit bin, es auf diese Art und Weise unseren Preisträgern jederzeit nachzumachen!