Deutsche Welle, Monitor Ost- / Südosteuropa, 16.12.2003
Danzig, 15.12.2003, TYGODNIK SOLIDARNOSC, poln.
Den größten Schaden aufgrund der Vertreibungen während des Zweiten Weltkrieges haben vor allem die Polen erlitten. Das ist die eindeutige Botschaft der Ausstellung in Zamosc (in der Region Zamosc sollte laut Befehl von Himmler aus dem Jahre 1942 ein so genanntes Deutsches Siedlungsgebiet entstehen, in dem nur Deutsche leben sollten und die Stadt Zamosc sollte Himmlerstadt heißen - MD), die vom Institut für Nationales Gedenken (IPN) vorbereitet wurde. Das ist die Antwort auf die Idee, ein deutsches Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, in dem die Opfer und die Henker verwechselt werden.
Bis Oktober 1944 wurden etwa 600.000 Polen, darunter 250.000 bis 300.000 Kinder in das Gebiet des Generalgouvernements zwangsumgesiedelt, einem Verwaltungsgebilde, das von Nazideutschland aus diesen polnischen Gebieten gebildet wurde, die nicht an das Dritte Reich angegliedert wurden. In Posen war der Hauptsitz der damaligen Umwanderzentralstelle (UWZ). In Łódz befanden sich vier Lager für Polen, die gezwungen wurden, ihren Wohnort zu verlassen. In diesen Lagern grassierten Krankheiten wie Diphtherie, Lungenentzündung und Scharlach, in deren Folge viele Menschen und vor allem Kinder starben.
Im November 1942 begann eine große Aussiedlungsaktion in der Region Zamosc (damalige deutsche Bezeichnung »Aktion Lebensborn«- MD). (...). Bis 1943 wurden aus diesem Gebiet 110.000 Polen vertrieben, darunter etwa 30.000 Kinder. Das Schicksal der Mehrheit dieser Kinder wurde bis heute nicht geklärt. Das ist ein echtes Bild von Vertreibungen, die infolge des von Nazideutschland angezettelten Krieges stattgefunden haben.
Das Projekt von Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, für die deutschen Vertriebenen ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, verfälscht gefährlich die wirkliche Geschichte.
»Die Idee von Erika Steinbach, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, nimmt das Leiden der Deutschen aus dem ganzen historischen Kontext heraus und hebt diese Erlebnisse hervor. Die wirkliche Bedeutung des Wortes ‘Vertreibungen‘ entdecken wir in der Geschichte solcher Gebiete wie der Region Zamosc, die nach den geopolitischen Plänen der Nazis zu einem ethnisch einheitlichen deutschen Gebiet umgewandelt werden sollte. Tausende von Vertriebenen aus dieser Region starben und manche von ihnen in den Konzentrationslagern in Majdanek und Auschwitz«, betonte Professor Leon Kieres, der Vorsitzende des Institutes für Nationales Gedenken am 2. Dezember in Zamosc.
Man muss die Tatsache betonen, dass sich inzwischen die Mehrheit der Deutschen der Tatsache bewusst ist, dass die Vertreibungen, die ihre Landsleute erleiden mussten, eine direkte Folge des von Hitler angezettelten Krieges sind.
Das Institut für Nationales Gedenken widmete die Ausstellung in Zamosc vor allem den jüngsten Opfern des totalitären Systems, d. h. den Kindern. Der Titel dieser Ausstellung lautet »Kindheit im Krieg - Das Schicksal polnischer Kinder während der deutschen Besatzung«. Zu der Ausstellung gehören Fotos, die den Alptraum des Krieges in den Augen der Kinder darstellen, die der schönen Zeit der Kindheit brutal beraubt wurden, denen das Recht auf Bildung und Spiel genommen wurde, die aus dem Elternhaus vertrieben und dann gefangengenommen und zur Sklavenarbeit gezwungen oder zu Tode gequält wurden. […] All diese Bilder sind eigentlich das Zeugnis für eines: für die Grausamkeit der Verbrechen des Besatzers.
Eine Form der Repressalien war die Zwangsarbeit, zu der Jugendliche ab dem 14. und in der letzten Phase der Okkupation sogar ab dem 12. Lebensjahr gezwungen wurden. […]
Unter den Fotos in der Ausstellung können die Bilder von Konzentrationslagern nicht fehlen. In den KZs Auschwitz, Majdanek Stutthof, Sobibor wurden viele polnische Kinder getötet, aber auch Juden, Tschechen und Roma. […] Die deutschen Behörden haben aber auch spezielle Konzentrationslager für Kinder errichtet. […]
Im Schatten der Geschichte wird das Problem der Institutionen akut, die die Wahrheit herausfinden sollen. Um zu verstehen, warum die finanziellen Aspekte so wichtig sind, sollte man zuerst erwähnen, dass dem Bund der Vertriebenen von Erika Steinbach jährlich 18 Millionen Euro von der Regierung Deutschlands zur Verfügung gestellt werden. In Polen hingegen unternehmen die Abgeordneten der Partei Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) (...) alles, um den zugesprochenen Etat des Institutes für Nationales Gedenken um etwa 33,5 Millionen Zloty (etwa acht Millionen Euro) zu kürzen. Diese Summe macht etwa 35 Prozent aller Mittel aus, die dem IPN insgesamt zugesprochen wurden. »Bei einer solch drastischen Reduzierung der Mittel werden wir gezwungen, im nächsten Jahr unsere Arbeit nur auf einen Überlebensetat zu stützen«, sagt Professor Leon Kieres […] »Ein Volk ohne Gedächtnis verdient es nicht, als Volk bezeichnet zu werden. Es ist schlecht um unseren Staat bestellt, in dem über die Mittel für das Institut für Nationales Gedenken gefeilscht wird, wobei die Regierung in Deutschland großes Geld für das Zentrum gegen Vertreibungen zur Verfügung stellt. Aber wer unternimmt Aktivitäten, um die historische Wahrheit zu vertuschen, und vor allem warum?« fragte Marcin Zamoyski, der Präsident von Zamosc.
Der Vorsitzende des IPN, Leon Kieres, schlug während seiner Rede bei der Ausstellungseröffnung vor, ein Zentrum für das Gedenken der Völker Europas unter der Schirmherrschaft des Europarates zu gründen, in dem sowohl die Ursachen als auch die Folgen der totalitären Systeme wie Morde und Vertreibungen dargestellt werden und in denen die Geschichte nicht fragmentarisch, sondern in ihrer Ganzheit dargestellt wird. […] (Sta)