Editorial
Was haben Sie auf den ersten Blick auf unserem Titelbild erkannt? Wir in der Redaktion dachten zunächst an Lego-Figuren, die sich an ein großes Spielzeug-Bauwerk machen. Beim genaueren Hinsehen sind Arbeiter auf einem Gerüst zuerkennen, die an einem Schiffsbug in der Werft in Danzig/Gdańsk arbeiten. Genau genommen an der großen, rundlichen Bugwulst. Durch deren Volumen haben die Schiffe mehr Auftrieb und lassen sich besser manövrieren. Delfine mit ihrer Verdickung an der Nase sollen Modell gestanden haben.
Der physikalische Hintergrund ist leicht erklärt: Alle Schiffe schieben eine Bugwelle vor sich her, was Kraft und damit Energie kostet. Die besonders geformte Bugwulst verschiebt das »Wellenbild« des Schiffes, indem es eine eigene Welle aufbaut. Der Wasserwiderstand verringert sich so um rund zehn Prozent, was schnellere Fahrt und Spritersparnis bedeutet. Aber nur, wenn die Bugwulst unter Wasser ist: Bei einem zu leicht beladenen Schiff schaut sie aus dem Wasser, was kontraproduktiv ist.
Ist die KK nun zu einem Technik-Magazin geworden? Das zwar nicht, aber bei der Recherche zu Themen für das vorliegende Heft mit dem Titel Handel: Zwischen Hanse und Big Business stießen wir oft auf ein Transportmittel, das seit jeher einen wichtigen Stellenwert ein nimmt, nämlich Schiffe. Ohne Boote oder Kähne wäre kein Austausch von Waren über Flüsse und Meere möglich. Oft war der Transport über See zwar langsamer, »aber sogar sicherer. Über Land wusste man nie genau, ob die Privilegien eingehalten wurden, ob man eventuell inhaftiert oder überfallen wurde«, sagt Jürgen Sarnowsky, emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg in unserem Interview. Wie sehr Schiffe und Handel schon vor der Zeit der heutigen Containerschiffe zusammenhingen, beschreibt unsere in Riga lebende Autorin Katja Wezel in ihrem Artikel über ein einst in der Ostseemetropole gegründetes Handelshaus.
Abseits vom Schwerpunkt möchten wir Ihnen unbedingt den Beitrag von Nataliia Vusatiuk empfehlen. Die Ukrainistin berichtet eindringlich von ihrem Alltag in Kiew/Kyiv und ihrem Forschungsprojekt in der immer wieder von russischen Raketen angegriffenen Stadt. Derzeit befasst sie sich mit Oswald Burghardt alias Jurij Klen: Er gehörte zu den »Neoklassikern«, einer ukrainischen Künstlergruppe, die in den 1930er Jahren Opfer der stalinistischen Repressionen wurde. Burghardt ist ein Phänomen: Als Wolhyniendeutscher verfasste er seine Werke auf Russisch, Deutsch und Ukrainisch. Eine seiner Arbeiten tauchte nun wieder auf und wird von Vusatiuk und vom Kulturforum beim Arco Verlag neu ediert: Dichtung der Verdammten. Literatur, die angesichts des russischen Terrors nicht aktueller sein könnte und über die die Autorin auf der Leipziger Buchmesse Ende April berichten wird. Dazu mehr in den Hinweisen.
Nun aber viel Vergnügen beim Lesen!
Inhalt
Im Fokus
Perspektiven I
Oberschlesische Kanäle – kühne Visionen
Von Dawid Smolorz
Momente I
Der Krieg, die ukrainischen Neoklassiker und Manuskripte, die nicht verbrennen
Von Nataliia Vusatiuk
Neuigkeiten
- Neues Museum zur deutsch-tschechischen Geschichte
- Museum des Jahres
- Wederbrücken wiedereröffnet
- Familie Walderode verliert Restitutionsstreit in Tschechien
- Kunstforum Ostdeutsche Galerie erforscht die eigene Vergangenheit
Epochen I
Odessa/Odesa – das Versprechen einer goldenen Zukunft
Von Guido Hausmann
Im Gespräch
»Die Hanse trug zu einer ersten Globalisierung bei«
Interview mit Jürgen Sarnowsky
Von Renate Zöller
Rezensionen
Vom Wohl und Wehe einer Stolper Familie.
Ulrike Dotzer: Goldener Boden. Europa Verlag
Von Ingeborg Szöllösi
Oberschlesien erknobeln – Silesia Challenges.
Escape-Room im Oberschlesischen Landesmuseum, Ratingen |weitere Informationen
Von Renate Zöller
Vergangenheitsbewältigung zu Papier und digital.
Melitta L. Roth: Gesammelte Scherben. Erzählungen und literarische Miniaturen. ostbooks, Herford
Von Larissa Mass
Perspektiven II
Wie der Orient zu den Siebenbürger Sachsen kam
Von Gerald Volkmer
Epochen
Helmsing & Grimm – ein deutschbaltisches Handelshaus in Riga
Von Katja Wezel
Veranstaltungen
Das deutsch-polnisch-tschechische Ländereck im Fokus
Kulturforum Görlitzer Synagoge
29. März 2023, 19 Uhr
Podiumsgespräch zum europäischen Erinnerungsort Donau
Diplomatische Akademie Wien
26. April 2023, 18 Uhr
Büchertreff in Leipzig
Leipziger Messe |weitere Informationen
27. bis 30. April 2023
Ausstellung über den Adel in Böhmen und Mähren
Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus
2. Februar bis 22. April 2023
Mensch, Natur und ihre Katastrophen
Adalbert Stifter Verein, Sudetendeutsches Haus
18. Januar bis 31. März 2023
Fundstück
Ein Schatz, der keiner ist
Von Aneta Łuczkowska