Zwei Stunden hatte der Hirte seine Schafe an diesem drückend heißen Tag auf dem Glanzberg weiden lassen. Jetzt rief er die Herde und stapfte los, noch etwas höher hinauf. Doch schon am nächsten Felsen stoppte er verblüfft: Da war ein Blitz in seinen Augen, ein eigenartiges Funkeln am Boden. Vorsichtig ging er näher – und entdeckte zwei Eidechsen, die sich sonnten. Der Rücken der einen schimmerte wie Gold, die andere glitzerte silbern überzuckert. Als sein Schatten auf sie fiel, huschten sie unter einen Stein. Vorsichtig rückte er ihn beiseite – und stieß einen überraschten Pfiff aus: Das Gestein war von silbernen Adern durchzogen, dazwischen schimmerten kleine, goldene Körner. Sebenitz hieß der glückliche Finder, und viele Jahre später benannte man aus Dankbarkeit die Stadt, die mittlerweile an diesem Ort hochgewachsen war, nach ihm: Schemnitz.
So, heißt es, habe es angefangen mit dem Bergbau in den Kremnitzer und Schemnitzer Bergen. Aber wahrscheinlich hat es noch viel früher begonnen. Bereits in der Bronzezeit, belegen Funde, hatte man hier nach Kupfer gegraben, und schon die Kelten sollen in den Flüssen nach goldenen Nuggets gesucht haben.
Es ist keine wilde, eher eine milde, eine idyllische Landschaft, rund um die Städte Schemnitz/Banská Stiavnica, Kremnitz/Kremnica und Neusohl/Banská Bystrica, die bis nach dem Ersten Weltkrieg zu Oberungarn gehörten und heute in der mittleren Slowakei liegen.
Ein wenig entrückt und weltvergessen wirkt die Gegend heute. Kaum zu glauben, dass sie im Mittelalter so etwas wie das Eldorado Europas war. Sie lieferte den Stoff, der die Wirtschaft schmierte und die Geldkatzen und Truhen der Kaufleute füllte: Gold, Silber, Kupfer und Eisen wurden hier gefördert. Schon 1156 schrieb ein Bischof von der »terra banensium«, dem Land der Bergleute. »Hauerland« nannte man die deutschen Sprachinseln rund um Deutschproben/Nitrianske Pravno und Kremnitz aber erst in den 1930er-Jahren.
Allerdings waren die Vorkommen nahe der Oberfläche irgendwann ausgekratzt und ausgewaschen. Sollte der Strom des Reichtums nicht versiegen, brauchte man technisches Knowhow von außerhalb. Bergleute in Sachsen, Bayern und Tirol hatten dieses Wissen – und an diese wandten sich die ungarischen Könige im 13. Jahrhundert. Um ausgewiesene Fachleute in den unbekannten Osten zu locken, musste man ihnen freilich einiges bieten. Also versprach man ihnen nicht nur die ein Stück Land und die Erlaubnis, darauf ein Haus zu bauen oder die Möglichkeit, Bier auszuschenken, das Wichtigste war: Sie bekamen ein eigenes Recht.
Die Anwerbung lohnte sich. Die Spezialisten waren geübt. Sie konnten vielversprechende Adern von taubem Gestein unterscheiden. Sie wussten, wie man Schächte baut und Stollen sichert und sie verstanden es, das dringend benötigte Wasser aus der Ferne heranzuführen. Viel später, Anfang des 18. Jahrhunderts, entwickelte der Mathematiker Mathias Cornelius Höll sogar eine besondere Wasserpumpe, sein ungarischer Kollege Sámuel Mikoviny entwarf ein System von Leitungen und Kanälen. Rund um Schemnitz entstand ein ganzes Netz von Stauseen. 42 dieser einst sechzig Wasserreservoirs sind noch vorhanden und bilden, miteinander verbunden, ein attraktives Wanderziel. Auch das Bergrecht wurde schon seit dem 13. Jahrhundert auf Deutsch niedergeschrieben. In der slowakischen Sprache ist dieses Erbe bis heute bewahrt. »Sachta« heißt Schacht, »Stólna« bezeichnet einen Stollen und »Pumpa« ist nichts anderes als eine Pumpe.
Der große Vorteil des ganzen Gebietes war: Verschiedene Erze fanden sich gehäuft an bestimmten Orten. So bekamen das »Goldene Kremnitz«, das »Silberne Schemnitz« und das »Kupferne Neusohl« ihre Namen und wurden zu festen Begriffen.
Um das Jahr 1400 stammte ein Drittel alles weltweit geschürften Goldes und Silbers aus der Region. Die Augsburger Fugger witterten ein gutes Geschäft. Sie taten sich 1494 mit dem Bergbauingenieur Johann I. Thurzo zusammen. Dieser aus der Zips stammende Krakauer Kaufmann brachte fortschrittliche Technik mit, die Schwaben steuerten das Kapital bei. Gemeinsam bauten sie rund um Neusohl eine riesige Kupfer-Manufaktur und hatten bald das Monopol für Kupferhandel inne. »Das goldene Augsburg ruht auf dem kupfernen Neusohl«, hieß es später. Thurzo stieg europaweit ins Bankgeschäft ein, die immer noch erstaunlich vielen Banken in der Stadt Neusohl gehen bis auf die damalige Zeit zurück. Und das Thurzo-Haus erinnert an ihn persönlich.
Der Karpatendeutsche Verein in der Slowakei, der versucht, die Geschichte der Deutschen lebendig zu erhalten, initiierte vor ein paar Jahren ein Puppentheaterprojekt für Schulen, »Blaufuß«. Darin wird der slowakische Gaspar, mit den deutschen Vorfahren Meister Hämmerlein, Hanswurst und Kasperle, zum Bergmann und erlebt im ehemaligen Hauerland zahlreiche Abenteuer. Auch im Karpatenblatt des Vereins ist das bergmännische Erbe gelegentlich Thema. Das Museum der Kultur der Karpatendeutschen in Pressburg/Bratislava hat unter seinen 7000 Ausstellungsstücken Bergbaufahnen und eine Kreuzigungsszene mit Bergleuten. Besonders kostbar sind die Kupferbecher aus Herrengrund/Spania Dolina. »Die Herrengrunder Bergleute fanden heraus«, erklärt der ehemalige Museumsdirektor Dr. Ondrej Pöss, »dass eiserne Gegenstände von einer Kupferschicht überzogen wurden, wenn man sie eine Zeit lang in Wasser aus dem Schacht lagerte. So stellte man eine ganze Reihe von Schmuckschalen und -gefäßen her. Einer der Becher trägt zum Beispiel in Altdeutsch die Aufschrift `Zu Herrengrund in Schacht ein Quell hat solche Kraft, Eisen zu Kupfer macht‘«.
Immer noch ist das Gestein unter vielen Städten der Mittelslowakei von Gängen durchzogen wie ein wurmstichiges Stück Holz. Aber auch sichtbare Zeugen des Bergbaus gibt es zur Genüge. Hodritsch/Hodrusa etwa ist eine der typischen Bergleute-Siedlung, wie sie im 16. Jahrhundert gebaut wurden. Den Stollen »Allerheiligen« hat man so weit hergerichtet, dass Besucherinnen und Besucher mit Grubenlampe und Helm einsteigen können, hinein in 700 Jahre Geschichte. Deutlich sind die Spuren der Meißel im Felsen zu erkennen, mit denen Generation auf Generation die Gänge vorantrieb, bis Kaspar Weindl, ein aus Tirol stammender Bergmann, am 8. Februar 1627 eine Sprengung mit Schwarzpulver versuchte. Die Sprengung klappte, und sie erleichterte die Arbeit künftig ungemein. Die neue Methode verbreitete sich über Deutschland, England, Schweden in die ganze Welt.
Doch nach und nach nahmen die Vorkommen immer mehr ab, man musste tiefer und tiefer graben und die Technik stetig verfeinern. Aus dem anfänglichen eher beliebigen Herumgestochern im Berg entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte eine exakte, hochspezialisierte Wissenschaft. Und die brauchte ein Zentrum. In Schemnitz wurde 1735 eine Bergschule gegründet. 1762 ließ die Herrscherin Maria Theresia sie zu einer richtigen Bergbauakademie ausbauen – sozusagen der Ursprung des wissenschaftlichen Montanwesens.
Waren Gold und Silber zu Barren gegossen, brachte man sie nach Kremnitz. Schon 1329 wurden dort die ersten Münzen geprägt. Aus den »Floren«, wie sie zunächst nach Florentiner Vorbild hießen, wurden später die »Dukaten«. Aufgrund ihrer schönen Prägung und Reinheit waren sie im 14. und 15. Jahrhundert in ganz Europa heiß begehrt. Später ließ Maria Theresia hier viele ihrer berühmten Taler herstellen – mehr als in allen anderen Münzen des Habsburgerreichs zusammen.
Vom einstigen Reichtum der Stadt gibt es noch Spuren. Vom Turm der Katharinenkirche geht der Blick auf den Hauptplatz, eine schräg ansteigende Wiese, aufgeteilt von geraden Wegen und Reihen junger Ahornbäume. Auf der barocken Dreifaltigkeitssäule, im 18. Jahrhundert zum Gedenken an die Opfer einer Pestepidemie errichtet, türmen sich über sechzig Heilige, Engel und Apostel übereinander. Die benachbarte Fußgängerzone dagegen wirkt eher bescheiden.
Im benachbarten Neusohl ließen sich einst die Besitzer der Bergwerke nieder, und die »Waldbürger«, deren Holz unverzichtbar war für den Bergbau, bauten sich prächtige Renaissance-Häuser. Sie waren oft Miteigentümer der Stollen, sie hielten die deutsche Kultur aufrecht und nicht wenige besaßen große Bibliotheken mit deutschsprachigen Büchern. Der reichverzierte Marienaltar in der heute wieder katholischen Barbarakapelle, der Schutzpatronin der Bergleute, stammt aus der Schule des berühmten Meisters Paul aus Leutschau/Levoča und demonstrierte die ganze Kunst der Gotik: Schnitzerei, Vergoldungstechnik, spitze Bögen, kühner Aufbau – eine Kathedrale im Kleinen sozusagen.
Man hatte das Geld dafür und man zeigte es auch. Der Glanz von damals ist verblichen. Aber vom Abglanz zehrt man bis heute.
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Der Artikel erschien im Magazin
KK – Kulturkorrespondenz östliches Europa
Ausgabe № 1433 | Januar 2023
mit dem Schwerpunktthema:
Erfindungen: Von Geistesblitzen und kühnen Ideen