»Eine der bemerkenswertesten Kulturlandschaften Schlesiens ist die ehemalige Grafschaft Glatz. Im Mittelalter Zankapfel zwischen dem böhmisch przemyslidischen Reich im Süden und den Herrschaftsansprüchen der polnischen Piasten im Norden kam das Land 1137 endgültig zum Königreich Böhmen. Mit dem Übergang der Krone an das Haus Habsburg 1526 geriet auch das Mitte des 15. Jahrhunderts zur Grafschaft erhobene Land zunehmend unter den künstlerischen Einfluß des Wiener Hofes, den die Eroberung Schlesiens und der Grafschaft Glatz durch Friedrich den Großen abrupt beendete. Eine jähe Zäsur setzte der Zweite Weltkrieg, der selbst keine Spuren in der Grafschaft hinterlassen hatte, mit der darauf folgenden Vertreibung der angestammten Bevölkerung und der Ansiedlung polnischer Einwohner, die zumeist selbst als Vertriebene vornehmlich aus den an die Sowjetunion gefallenen polnischen Ostgebieten stammten. Nur vereinzelt wurde das ihnen zugefallene Kulturerbe gepflegt, so daß diese reiche Kunstlandschaft in den Dämmerschlaf verfiel. Erst mit der politischen Wende in Ostmitteleuropa nahmen auch weite Kreise der Bevölkerung die böhmisch-deutsche Geschichte dieses Landes an, was sich unter anderem in der nun zunehmend gebräuchlichen polnischen Landesbezeichnung »Hrabstwo kłodzkie« – Grafschaft Glatz widerspiegelt.
Aufgrund ihrer zahlreichen Heilbäder war diese Region bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs überregional als »Gesundbrunnen Deutschlands« bekannt. Doch nicht nur die zahlreichen, heute wieder auflebenden Heilbäder und die malerische Landschaft der umgebenden Gebirge locken als Reiseziele, sondern auch die hohe Konzentration an wertvollen und erhaltenswerten Baudenkmälern. Während in den älteren Reiseführern, bei denen die Grafschaft Glatz zumeist nur als Teil Schlesiens Widerhall findet, vorwiegend die »sakrale Landschaft« mit zahlreichen Kirchen und Klöstern, aber auch Kapellen, Wegekreuzen und Bildstöcken charakterisiert wird, erschließt nun das in Arbeit begriffene Buch eine faszinierende Schlösserlandschaft, der sich auch schon die derzeit durch Deutschland und Polen wandernde Ausstellung »Ein vergessenes Arkadien. Schlösser und Parkanlagen der ehemaligen Grafschaft Glatz« widmet.
Mit insgesamt achtzig Burgen, Schlössern und Parkanlagen bietet das Glatzer Land eine reichhaltige Fülle herrschaftlicher Bauten, die häufig in Größe und künstlerischer Qualität ihren architektonischen Vorbildern im böhmischen Kernland um nichts nachstehen. Dazu zählt insbesondere die Schlossanlage von Grafenort/Gorzanów, die zu den bedeutendsten frühbarocken Residenzen des Sudetenraumes zählt. Leider befindet sich die Anlage in einem inzwischen höchst bedenklichen Zustand – einen Besuch ist sie aber in jedem Falle wert. Auch die Schlösser von Eisersdorf/Żelazno, bestens erhalten und heute als Ferienheim der oberschlesischen Montanindustrie genutzt, Eckersdorf/Bożków, das heute wieder einen neuen Eigentümer sucht oder Kunzendorf/Trzebieszowice, das seit Anfang 2008 als luxuriöses Hotel seinen einstigen Glanz zurückerhalten hat, sind allein schon eine Reise wert. Aber selbst die kleinen, zunächst unscheinbaren Herrenhäuser waren reich mit Sgraffitodekorationen, Wandmalereien und kunstvollen Steinmetzarbeiten ausgestattet, von denen beispielsweise das Schloss von Niederschwedeldorf/Szalejów Dolny oder das kaum bekannte Renaissanceherrenhaus von Reyersdorf/Radochów noch einen guten Eindruck vermittelt.
Erste Hoffnungen sind nun auch geweckt, daß sich die Region touristisch weiterentwickeln wird, nachdem das westlich benachbarte Hirschberger Tal/Kotlina Jeleniogórska gerade wegen seiner hohen Dichte an Schlössern und Parkanlagen zu einem Hauptreiseziel innerhalb Schlesiens geworden ist.
Das nun in Vorbereitung befindliche Buch ist vordergründig als handlicher und praktikabler Reiseführer konzipiert, wobei zu jedem der Bauten neben einer Kurzbeschreibung, einer Bau- und Eigentümergeschichte auch eine Anfahrtsbeschreibung sowie Kommentare zur Zugänglichkeit dem Reisenden die Entdeckungsfahrten erleichtern. Gleichzeitig versteht sich das Buch auch als Bestandsdokumentation, die nicht nur die heute noch erkennbaren künstlerischen Spuren, wie Sgraffitodekorationen, Wandmalereien und Stuckdecken erfaßt, sondern auch den derzeitigen Stand der deutschen und polnischen Schlösserforschung ebenso wie das denkmalpflegerische Bemühen um den Erhalt dieses »gemeinsamen Kulturerbes von Deutschen und Polen« reflektiert.
Das landschaftliche Potential und eine noch höhere Konzentration an wertvollen Baudenkmälern, dem inzwischen so beliebten »schlesischen Elysium«, dem Hirschberger Tal Konkurrenz zu machen, hat die Grafschaft Glatz auf jeden Fall.«
(Quelle: www.arnefranke.de)
- Arne Franke, Katrin Schulze: Schlösser und Herrenhäuser in der Grafschaft Glatz
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