Eine Wanderausstellung des Deutschen Kulturforums östliches Europa
Die Reisebilder, ihre Entdeckung und ihre Bedeutung für die Kulturgeschichte
Bis vor wenigen Jahren war nicht bekannt, dass wir dem Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten Ottheinrich (1502–1559) die frühesten Ansichten von 65 Städten, Burgen und Residenzen Mitteleuropas und damit, die erste Ansichtenfolge nach der Schedelschen Weltchronik von 1493 und die erste uns überlieferte Bilderfolge einer Fürstenreise überhaupt zu verdanken haben. Es sind die fünfzig Bildtafeln, die die Reise Ottheinrichs nach Krakau und Berlin 1536/37 dokumentieren. Diese als farbige Federzeichnungen ausgeführten Ansichten waren 1803 im Zuge der Säkularisation vom Zisterzienserstift Ebrach in Franken an die Universitätsbibliothek Würzburg gelangt, ihre Bedeutung für die verschiedenen Bereiche der Kulturgeschichte und ihre Entstehungsgeschichte blieben aber weiterhin unerkannt.
1991 wurde Angelika Marsch, die auf historisch-topographische Ansichten Schlesiens spezialisiert ist, auf diese Ansichten aufmerksam. Sie erkannte, dass es sich hier überwiegend um die ersten Stadtansichten Mitteleuropas handeln muss. Die Markierung der Ortsnamen auf einer Landkarte ergab, dass diese Ansichten einzelne Stationen einer Reise wiedergeben, einer Rundreise mit Neuburg a. d. Donau im Westen, Krakau im Osten und Berlin im Norden. Anhand der abgebildeten Bauwerke und Ruinen konnten die Ansichten datiert werden. Ein ausgebrannter Schlossflügel des Wawels in Krakau ließ auf die Zeit nach dem 18. Oktober 1536 schließen, der noch unversehrte Schwarze Turm des Hradschins in Prag auf die Zeit vor dem 10. April 1538.
Es war davon auszugehen, dass es sich um eine Fürsten- oder Diplomatenreise handelte, denn ein Künstler hätte ohne Auftrag nur Motive aus künstlerischer Sicht gewählt. Hier waren aber die Orte im Abstand eines Tagesrittes festgehalten worden. Verschiedene Anzeichen verwiesen schließlich auf Neuburg a. d. Donau als Ausgangspunkt der Reise. Damit stand Pfalzgraf Ottheinrich als Reisender und Auftraggeber der Ansichten fest.
Der Grund der Reise war dann bald gefunden. 1475 hatte Herzog Georg von Bayern-Landshut die polnische Prinzessin Hedwig, Tochter von König Kasimir IV., geheiratet – bekannt als »Landshuter Hochzeit«. Die von König Kasimir im Heiratsvertrag versprochene Mitgift von 32.000 ungarischen Gulden blieb jedoch aus. Den Schuldschein des nicht ausgezahlten Geldes erbten 1531 die Enkel von Herzog Georg und Prinzessin Hedwig, die jungen Pfalzgrafen Ottheinrich und Philipp. Seit langem in Geldnöten hofften sie nun, von ihrem Großonkel, dem polnischen König Sigismund d. Ä., das ausstehende Geld zu bekommen.
Ottheinrich, der als Liebhaber von Kunst und Büchern bekannt ist, nahm auch einen Zeichner mit. Dieser kann die Ansichten nur in einem Skizzenbuch festgehalten haben, die Umsetzung zu den uns vorliegenden großen Tafeln muss nach der Rückkehr erfolgt sein. Die Frage, wer der Zeichner war, konnte nicht ganz geklärt werden. Wir können aus der Darstellungsart schließen, dass er aus dem fränkisch-schwäbischen Raum, aus dem Umkreis von Albrecht Dürer kommen muss. Anzunehmen ist auch, dass er zu den Hofkünstlern Ottheinrichs gehörte. Zu vermuten ist darum Mathias Gerung (um 1500-1570), doch beweisen lässt sich dies bis jetzt nicht.
Bis zum ausgehenden Mittelalter waren die Künstler nur auf religiöse Darstellungen und Atelierarbeit eingestellt. Erst jetzt lernten sie, in der Natur zu zeichnen und reale Landschaften und auch Städte im Bild festzuhalten. Wie realitätsgetreu sind nun diese Ansichten? Die Beantwortung dieser schwierigen Frage erforderte genaue Untersuchungen und auch Recherchen in regionalen deutschen, polnischen und tschechischen Archiven und Bibliotheken und war nur in wissenschaftlicher grenzüberschreitender Zusammenarbeit möglich. So bildete sich ein Team von deutschen, tschechischen und polnischen Wissenschaftlern, das sich der kritischen Untersuchung der einzelnen Ansichten annahm. Das Ergebnis: Auch wenn der Realitätsgrad unterschiedlich ist, enthalten die Ansichten z. T. erstaunliche Informationen, vor allem für die Stadt- und Baugeschichte, werden doch z. B. Bauten, wie die Schottenkirche mit dem Hl. Grab in Eichstätt, der Piastenturm in Oberglogau oder die Domvorstadt von Liegnitz gezeigt, die nur aus der Literatur bekannt sind. Auch für die Geschichte der Technik, der Rechtsgeschichte und andere Bereiche der Kulturgeschichte vermögen die Ansichten wichtige Informationen zu geben.
Ottheinrichs Ritt nach Krakau und Berlin
Die Planung der Reise Ottheinrichs nach Krakau setzte unmittelbar nach der Erbschaft des Schuldscheines 1531 ein. Es sollte sich aber erst Ende 1536 ergeben, dass Ottheinrich Gelegenheit bekam, König Sigismund in Krakau anzutreffen. Am 27. November 1536 verließ Ottheinrich Neuburg, in seiner Begleitung acht Adlige, sein Kanzler und der Reisezeichner. Mit Bediensteten dürfte der Tross aus mindestens 45 Personen bestanden haben. Wir wissen, dass Ottheinrich die lange Strecke zu Pferd zurückgelegt hat.
Er wählte die Winterzeit, obgleich diese damals noch ungleich härter war. Es gibt dafür eine Erklärung: Für Fernreisen bevorzugte man früher diese Saison, da die Böden dann härter und die Gewässer leichter zu überqueren waren, außerdem musste nicht mit aufgeweichtem Untergrund auf den unbefestigten Straßen gerechnet werden. Bei Pfrentschweiher überschritt die Reisegruppe die Grenze nach Böhmen, weiter ging es die Goldene Straße entlang über Pilsen nach Prag. Über den zeitlichen Ablauf der Reise von Prag bis Krakau sind wir durch einen jetzt aufgefundenen Brief Ottheinrichs an seinen Vetter Wilhelm IV. von Bayern mit genauen Angaben der Übernachtungsorte unterrichtet. So wissen wir, dass die Reisegesellschaft von Prag bis Reichenstein Geleitschutz erhielt, dass Fürstbischof Jacob von Salza dem Gast aus Bayern in Neisse entgegenritt und ihm in seinem Schloss alle Ehre erwies. Wir wissen, dass Ottheinrich an der polnischen Grenze von vier hohen polnischen Würdenträgern empfangen wurde, die die Reisegesellschaft in Begleitung von tausend Reitern nach Krakau führten. Ein Dokument gibt uns Auskunft über ein Festessen auf dem Wawel am 1. Januar 1537 und vor allem, dass Ottheinrichs beschwerlicher Ritt Erfolg hatte. König Sigismund zahlte die ausstehenden Schulden, wie die jetzt aufgefundenen Quittungen beweisen, allerdings ohne Zinsen und Zinseszins.
Am 17. Januar trat Ottheinrich die Rückreise an. Sie führte über Berlin, denn König Sigismund hatte ihn gebeten, in »heikler Mission« Kurfürst Joachim II. aufzusuchen. Am 10./11. Februar kam der Tross dann durch Wittenberg und wurde mit Wein, Hechten und Karpfen bewirtet, wie es im Rechnungsbuch steht. Ende Februar dürfte Ottheinrich wieder in der Residenzstadt Neuburg eingetroffen sein.
Rund 2.000 km hatte die Reisegruppe in drei Monaten zurückgelegt. Das Geld wird Ottheinrich bei seiner schweren Verschuldung bald aufgebraucht haben, was uns aber geblieben ist, das sind die 50 Bildtafeln, die seine Reise dokumentieren.
Ottheinrich und seine Verwandtschaft – eine große europäische Familie
Die Reisebilder dokumentieren nicht nur eine Rundreise des Pfalzgrafen Ottheinrichs durch deutsche Fürstentümer, durch Böhmen, Schlesien und Polen, also die heutigen Länder Deutschland, Tschechien und Polen. Ihre Geschichte zeigt auch, wie eng diese Länder in den früheren Jahrhunderten durch verwandtschaftliche Verflechtungen der Fürsten- und Königshäuser miteinander verbunden waren.
Ottheinrichs Verwandtschaft ist dafür ein Beispiel. Nicht nur Ottheinrichs Großmutter, die polnische Prinzessin Hedwig (Jadwiga), heiratete mit Georg von Bayern-Landshut einen deutschen Reichsfürsten. Ihre vier Schwestern gingen ebenfalls Verbindungen mit Reichsfürsten ein. Sophie wurde mit Markgraf Friedrich von Brandenburg vermählt, Anna mit Fürst Boguslaw X. von Pommern, Barbara mit Herzog Georg von Sachsen und Elisabeth mit Herzog Friedrich II. von Liegnitz-Brieg. Und nicht anders war es in der nächsten Generation. Die älteste Tochter von König Sigismund, Hedwig, heiratete 1535 den Brandenburger Joachim II., ihr Bruder Sigismund August heiratete die älteste Tochter von König Ferdinand von Böhmen, Elisabeth und nach ihrem Tod in 3. Ehe die jüngere Tochter Katharina.
Es waren aber nicht nur die verwandtschaftlichen Verflechtungen, die die Länder miteinander verknüpften. Auf politischer Ebene gab es Verbindungen, die von noch größerer Bedeutung waren. Mit dem Vertrag von Trentschin 1335 war das Herzogtum Schlesien unter die Lehnshoheit Böhmens gekommen. Oberste Landesherren von Böhmen waren von 1471-1526 die Jagiellonen, denn 1471 wurde Ladislaus (Wladislaw II.), Bruder von Ottheinrichs Großmutter Hedwig, zum König von Böhmen gewählt. Ihm folgte 1516 sein Sohn Ludwig, der kinderlos starb. Seine Schwester Anna heiratete 1521 Erzherzog Ferdinand von Habsburg, den späteren König von Böhmen und Ungarn und Römischen Kaiser.
Als Ottheinrich auf seinem Ritt nach Krakau und Berlin durch Oberschlesien reiste, kam er durch das Herzogtum Oppeln-Ratibor und die Herrschaft Beuthen, Gebiete, die im Pfandbesitz seines Schwagers Georg von Brandenburg-Ansbach waren. Bei seiner Rückreise traf er in Liegnitz und in Berlin erneut auf Verwandtschaft.
Der Blick auf die Reise Ottheinrichs von Neuburg a. d. Donau nach Krakau und Berlin zeigt, welche geschichtlichen Wurzeln und kulturellen Traditionen die drei Nachbarländer Deutschland, Tschechien und Polen miteinander verbinden. So kann die Reiseroute Ottheinrichs als ein Symbol für ein »Vereintes Europa« in der damaligen Zeit angesehen werden.