Schlesien zählt als Brückenland zwischen West und Ost zu einer der historisch interessantesten Regionen Mitteleuropas, deren architektonischer Ausdruck eine Fülle erhaltener Baudenkmäler ist, die unter polnisch-piastischer, böhmischer, habsburgischer, dann preußischer und bis 1945 deutscher Herrschaft entstanden. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts als »Land der Schlösser« bekannt, weist das Oderland, wie die Datenbank des Kunsthistorikers und Projektleiters Arne Franke anzeigt, mehr als 3.200 Schlösser und Herrenhäuser auf und besitzt damit die größte Dichte an einstigen Adelssitzen in Europa.
Viele dieser Gebäudeensembles gerieten infolge des Zweiten Weltkriegs, der Vertreibung der deutschen Bevölkerung und der Zeit des Sozialismus in beklagenswerten Zustand. Ein Wiederaufbau dieser kunst- und architekturgeschichtlich bedeutsamen Schlossruinen scheint angesichts der großen Anzahl an Objekten schon aus wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen. Nicht zuletzt spricht die Denkmalpflege selbst dagegen – Georg Dehio als einer der Nestoren des zeitgenössischen Denkmalschutzes brachte dies um 1900 auf die Formel: »konservieren statt restaurieren«.
Aus der Motivation, Schlossruinen gewissermaßen im »Ist-Zustand« zu konservieren und weiterzuentwickeln, entstand das Konzept der Summer-School. Deutsche und polnische Studierende unterschiedlicher Universitäten und Fachrichtungen – darunter Kunstgeschichte, Kulturwissenschaft, Landschafts- bzw. Denkmalpflege, Architektur und Touristik – sollten Konzepte erarbeiten, wie solche Anlagen nachhaltig erhalten, revitalisiert und sinnvoll genutzt werden können.
Der praktische Arbeitsteil fand während eines siebentägigen Aufenthalts in Schlesien statt. Letztlich wurden die Erkenntnisse aus dem Literaturstudium mit der Gebäudeanalyse abgeglichen und daraus eine konkretere Baugeschichte der Schlösser abgeleitet. Inhalte der Werkstatt waren methodische Schulung in Baugeschichte, Stilkunde und historischer Materialverwendung sowie die nicht-invasive Bauuntersuchung an bestandsgefährdeten Schlössern in Schlesien – schließlich der Entwurf innovativer Nutzungskonzepte für die Schlossruinen von Penkendorf/Panków, Laasan/Łażany, Habendorf/Owiesno und Raudnitz/Rudnica, die hier dokumentiert sind. Zugleich wurden auch Wirtschaftshof, Park und Kirche der einstigen Schlossherrschaft sowie die Dorfanlage mit ihrer Infrastruktur untersucht und Einheimische nach ihren Visionen in Bezug auf die Schlossruine befragt. Ziel war es, das architektonische und touristische Potential der Gesamtanlage zu erkennen, um adäquate weiterführende Ideen zur zukünftigen Nutzung der Schlossruine zu entwickeln.
Die Ergebnisse der Studierenden wurden vor Ort präsentiert und zum Teil auch durch selbstentworfene analoge und digitale Modelle zusätzlich veranschaulicht. Nach Beendigung der Summer-School hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Folgewochen Gelegenheit, die Ausarbeitungen zu komplettieren und sie in die nun vorliegende Broschüre einfließen zu lassen.
Gelebtes Kulturerbe. Praktische denkmalpflegerische Aneignung eines gemeinsamen Kulturerbes in Schlesien im deutsch-polnischen Grenzraum. Herausgegeben vom Deutschen Kulturforum östliches Europa und Arne Franke
Potsdam 2022, 98 Seiten
Die Summer School wurde gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Programms »Vielstimmige Erinnerung – gemeinsames Erbe – europäische Zukunft: Kultur und Geschichte der Deutschen und ihrer Nachbarn im östlichen Europa« und in Kooperation mit dem Schlesischen Museum zu Görlitz durchgeführt.
Kulturerbe sichern. Sensible Strategien für schlesische Schlossruinen
Von den zahlreichen Schlössern Niederschlesiens liegen viele in Ruinen. Sie alle zu rekonstruieren, ist unmöglich. Aber wie können sie sonst nachhaltig gesichert und genutzt werden? Der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Arne Franke hegt dazu schon lange eine Idee. weiter
März/April 2022 – Kulturkorrespondenz östliches Europa № 1428
Impressionen
Ankunft auf Schloss Muhrau/Morawa
Schloss Raudnitz/Rudnica; ein Nachbar zeigte uns diese Ansichtskarte vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
Pause vor der Schlossruine von Habendorf/Owiesno
Beim Fassaden-Studium in Laasan/Łażany
Blick auf den Teich hinter dem Schloss von Penkendorf/Panków