Schwetzinger veröffentlicht seine sensationelle Entdeckung
Ralph Adameit
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Schwetzinger Zeitung • 28.09.2007

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Schwetzinger Zeitung.

Mit einem Zeitungsartikel im heimischen Bremen fing die Geschichte von Erwin Bockhorn-von der Bank an. Eine Geschichte, die so unglaublich, so ungewöhnlich ist wie der Name des Neu-Schwetzinger. Es können nicht viele Menschen von sich behaupten, dass auf Grund ihrer Forschung das Werksverzeichnis eines berühmten Künstlers neu geschrieben werden muss. Erwin Bockhorn-von der Bank kann das, denn er hat in einem kleinen polnischen Ort namens Trzebiechów (Trebschen) nachgewiesen, dass dort der belgische Architekt und Designer Henry van de Velde gewirkt hat - und zwar in beträchtlichem Ausmaße: Er zeichnete für die komplette Inneneinrichtung des dortigen Sanatoriums verantwortlich.

»Der Tanz der Linien« hieß ein Artikel, den Erwin Bockhorn-von der Bank im April 2002 las. Darin wurde über die neu renovierte und von van de Velde entworfene Villa Esche in Chemnitz berichtet, die als Deutschlands schönstes Jugendstilensemble gilt. Der Name van de Velde rief bei Bockhorn-von der Bank Erinnerungen wach. Sein Großvater Dr. Curt Schelenz, bis 1945 Leiter der Lungenklinik in Trebschen, hatte mal beiläufig erwähnt, dass jener berühmte Belgier dort am Bau ab 1902 mitgewirkt hätte. Im August 2003 besuchte Bockhorn-von der Bank das inzwischen zum Seniorenheim umfunktionierte Gebäude. »Von außen deutete nicht viel auf ein mögliches Werk van de Veldes hin«, erinnert er sich. Doch was er innen zu sehen bekam – etwa künstlerisch gestaltete Treppengeländer und spezielle Türengriffe – ließ seine Hoffnung aufkeimen, dass es sich wirklich um ein unbekanntes architektonisches Kunstwerk handelte.

Zweifelnde Experten …

Bockhorn-von der Bank reiste weiter nach Gera und legte dort Experten Bilder vor. »Diese bestätigten zwar, dass von der Art her van de Velde dies geschaffen haben könnte, zweifelten aber zugleich daran – denn davon hatte noch keiner etwas gehört.« Zwei Zufälle halfen seinerzeit dem heute bei der Ketscher Firma Hauck angestellten Außendienstler bei der Suche nach einem Beweis für seine These. Durch einen Brief eines ehemaligen Trebschener Pfarrers an seine dort geborene Mutter erfuhr er, dass es in Berlin Akten über die kleine polnische Gemeinde gebe, die früher zur Mark Brandenburg gehörte. Tatsächlich wurde der gebürtige Bremer, der seit kurzem in Schwetzingen lebt, im »Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz« im September 2003 nach tagelangem Aktenstudium fündig. Van de Veldes Originalbriefe an die Bauherrin des ursprünglichen Sanatoriums, die Prinzessin Marie Alexandrine Heinrich VII. Reuß, beseitigten alle bis dahin bestandenen Zweifel. »Ich war an jenem Tag, als ich die Briefe gefunden habe, überwältigt und stolz«, gibt Erwin Bockhorn-von der Bank gerne zu.

… bis der Beweis vorliegt

Bei einer Konferenz überzeugte er schließlich die Fachwelt von der Einzigartigkeit seiner Entdeckung: Dass van de Velde fast überall in Europa Spuren hinterlassen hat, war bekannt. Die Arbeit in Polen hingegen war nirgendwo verzeichnet, selbst in seiner eigenen Biografie oder in Kunstzeitschriften (in denen der Architekt meist offenherzig über seine Projekte berichtete) war bislang nichts über das Werk in Trzebiechów zu lesen. Die Gründe für das Verschweigen liegen im Dunkeln. »Da ist noch keiner draufgekommen«, hat auch van de Veldes »Entdecker« noch keine Lösung auf dieses Rätsel gefunden.

Die Wiederherstellung der von van de Velde entworfenen Zimmer im ehemaligen Sanatorium ist jedoch nicht nur Bockhorn-von der Banks Entdeckung zu verdanken, sondern auch den polnischen Behörden. »Der dortige Landrat und andere Entscheidungsträger waren ziemlich schnell Feuer und Flamme«, erzählt Bockhorn-von der Bank begeistert. Und noch ein weiterer Umstand spielte eine Rolle, dass in Trzebiechów das größte Vorkommen an van de Veldes Schablonenobjekten festgestellt werden konnte: »Ich muss gestehen, dass der Mangel an Finanzmitteln für den Erhalt eines Kunstwerkes gut war«, schreibt Krysztof Romankiewicz, Landrat von Zielona Góra, im Grußwort des Bildbandes. Unmittelbar nach dem Krieg, als das Bauwerk verschiedene Funktionen erfüllte, habe kein Interesse an Renovierungen und Modernisierungen bestanden.

Farbe als Konservierungsstoff

Viele der van de Veldeschen Malereien wurden schon früh einfach mit weißer Farbe überstrichen, da das Sanatorium bald zu einer Klinik umfunktioniert wurde. Diese Schichten wirkten offenbar wie eine Konservierung. »Van de Veldes Werke waren teilweise extrem gut erhalten«, staunte Erwin Bockhorn-von der Bank bei der ersten Freilegung nicht schlecht. Vor kurzem hat er mit den Kunsthistorikerinnen Antje Neumann und Brigitte Reuter einen Bildband über das Gebäude und die Geschichte seiner Entdeckung veröffentlicht. Der 60-Jährige ist inzwischen selbst zu einem richtigen van-de-Velde-Experten geworden und sogar Ehrenmitglied der in Polen neu gegründeten van-de-Velde-Gesellschaft. Und er hat Gefallen gefunden an dem polnischen Ort, mit dem ihn inzwischen nicht nur die verwandtschaftliche Beziehung verbindet. Bei seinen Recherchen über den Ort stieß er nämlich auf Hinweise, dass der preußische Architekt Karl Friedrich Schinkel die Kirche gebaut haben könnte. Vielleicht muss ja schon bald das nächste Werksverzeichnis ergänzt werden …