Potsdamer Neueste Nachrichten • 27.09.2004
Serie: Neue Zeiten im Osten
Heute: UngarnSeit Mai sind acht Länder des östlichen Europa Mitglieder der EU. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa pflegt enge Kontakte in die Beitrittsländer. Die PNN wollten von den Partnern wissen, was sie von der neuen Zeit erwarten.
Elisabeth Knab, 1957 im ungarndeutschen Dorf Nadwar/Nemesnádudvar in Südungarn geboren, ist seit 1994 Direktorin des Ungarndeutschen Bildungszentrums Baja.
Was erhoffen Sie sich vom EU-Beitritt Ungarns?
Ich hoffe, dass das Bildungsangebot des Ungarndeutschen Bildungszentrums in Baja, dessen Leiterin ich bin, für Schüler und ihre Eltern noch attraktiver wird, da unser Bildungskonzept – im Unterschied zu den traditionellen ungarischen Schulen – neben dem Erwerb von Faktenwissen insbesondere die Ausbildung von Kompetenzen vorsieht: selbständiges Lernen, Problemlösungsfähigkeiten, die Ausbildung von Schlüsselqualifikationen. Zudem legen wir großen Wert auf das Erlernen der Fremdsprachen Deutsch und Englisch; die Schüler können neben dem deutschen und ungarischen Abiturzeugnis auch in den Fremdsprachen international anerkannte Sprachscheine erwerben. Ich denke, dass die Absolventen durch ihre bei uns erworbenen Abschlüsse europaweit Studien- und Arbeitschancen erhalten.
Wie ist die Lage momentan?
Bereits jetzt studieren zahlreiche Absolventen des Ungarndeutschen Bildungszentrums in Deutschland oder in deutschsprachigen Studiengängen in Budapest und ich bin mir sicher, dass diese Zahl mit dem Beitritt wachsen wird, insbesondere dann wenn die administrativen Schwierigkeiten abgebaut werden. Für mich als Ungarndeutsche hoffe ich, dass die Beziehungen und Bindungen zu Deutschland neue Dimensionen bekommen werden. Die deutsche Sprache könnte ein Bindeglied werden zwischen Deutschland und den neuen Beitrittsländern in Mittelosteuropa.
Wie wird sich der Beitritt auf Ihre Beziehungen zu Deutschland auswirken?
Ich denke, dass die historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn durch den Beitritt eine neue Aktualität erhalten können. Gerade in der globalisierten Welt kommt es darauf an, dass die regionalen Kontakte gestärkt werden. Viele Bürger Ungarns versprechen sich auf dem Wege in die EU gerade von Deutschland erhebliche Hilfe und Unterstützung. Die EU-Erweiterung eröffnet auch für die deutsche auswärtige Bildungs- und Kulturpolitik neue Chancen, weil in Mittelosteuropa das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur aus historischen Gründen groß ist. Durch geeignete Maßnahmen der deutschen auswärtigen Politik könnte dieses Interesse neu belebt werden, so etwa durch entsprechende integrative Projekte.
Sie sehen viele Vorteile …
Ich sehe die EU auch als Garant für die Rechte der Minderheiten. Durch den Regionalismus könnte eine Stärkung der kulturellen Identität erfolgen und die Lebensqualität könnte aufgrund von gemeinsamen wirtschaftlichen Projekten zwischen Ungarndeutschen und Partnern in Deutschland erhöht werden. Für die deutsche Minderheit ist der Beitritt auch mit der Hoffnung verbunden, durch den weiteren Ausbau von institutionalisierten Kontakten – vor allem im schulischen und kulturellen Bereich – eine hohe Sprachkompetenz zu erwerben und somit die eigene Identität neu zu beleben.
Welche Rolle spielt das deutsche Kulturerbe heute in Ungarn?
Mit der Wende hat sich für die Deutschen in Ungarn wieder die Möglichkeit ergeben, zu ihrem deutschen Kulturerbe zu stehen, sich dazu zu bekennen, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass infolge der vorangeschrittenen Assimilation und des Verlusts der deutschen Muttersprache die heutige Generation nur noch wenig Sensibilität für die Bewahrung und Pflege des Kulturerbes zeigt. In den Vereinen der Traditionspflege findet man in überwiegender Zahl die Vertreter der Erlebnisgeneration.
Die Ungarndeutschen haben eine eigene Verwaltung.
Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, die aufgrund des Minderheitengesetzes 1994 gegründet wurde, sieht ihre wichtigste Aufgabe darin, dass die schulischen Einrichtungen der Ungarndeutschen eine hohe Sprachkompetenz vermitteln und damit in Verbindung eine neue Identität. Diese wird sich allerdings in vielem von der Identität unserer ungarndeutschen Mütter und Väter unterscheiden.
Und in Zukunft?
Ich hoffe, dass die historischen Beziehungen durch die junge Generation der Ungarndeutschen eine neue, deutsch-europäische Aktualität erhalten werden. Es wäre wichtig, dass die deutsche Auswärtige Politik versucht, durch geeignete Maßnahmen diese Generation – die von Europa überzeugten Ungarndeutschen – zu erreichen.
- Deutsch als Bindeglied
Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der PNN