Martin Pollack mit seinem »Kaiser von Amerika« am 30. November in Leipzig sowie mit Włodzimierz Nowak und Joanna Manc am 2. Dezember in Berlin
Berichte zu den Begleitveranstaltungen zum Georg Dehio-Buchpreis 2010

Von Tanja Krombach & Klaus Harer

Bericht Leipzig | Bericht Berlin

Ein Leipziger Preis für den Preisträger in Leipzig
Martin Pollack (li.) und Hans-Christian Trepte im Gespräch über das BuchMartin Pollack (li.) und Hans-Christian Trepte im Gespräch über das Buch

Wenige Tage vor der lange geplanten Begleitveranstaltung zum Georg Dehio-Buchpreis 2010, bei der der Hauptpreisträger Martin Pollack seine diesjährige Neuerscheinung Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien (Zsolnay Verlag) im Polnischen Institut in Leipzig präsentieren sollte, wurde verkündet, dass er designierter Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2011 ist. Die Jury hob dabei besonders dieses Buch hervor, in dem er »die große Massenflucht der Juden, Polen und Ukrainer aus Galizien zu Beginn des vorigen Jahrhunderts […] als Prototyp heutiger Migrationsströme mit ihrem Schlepper-Unwesen und Menschenhandel« kenntlich mache.

Die um 1910 entstandene Fotografie aus Martin Pollacks neuem Buch »Kaiser von Amerika« zeigt Huzulen in einem Viehwagen auf ihrem Weg nach Amerika. Die meisten Auswanderer aus Galizien hatten keine Ahnung, wo dieses Land lag, und waren hilflos windigen Agenenten ausgesetztDie um 1910 entstandene Fotografie aus Martin Pollacks neuem Buch »Kaiser von Amerika« zeigt Huzulen in einem Viehwagen auf ihrem Weg nach Amerika. Die meisten Auswanderer aus Galizien hatten keine Ahnung, wo dieses Land lag, und waren hilflos windigen Agenenten ausgesetzt.

Im Gespräch mit dem Leipziger Polonisten und Anglisten Hans-Christian Trepte verwies Pollack am Abend des 30. November 2010 tatsächlich auf zahlreiche Parallelen zwischen der schamlosen Ausbeutung galizischer Bauern durch die Auswanderungsagenten um 1900 und dem heutigen Elend der Wirtschaftsflüchtlinge aus Osteuropa. Schon damals blühte der Frauenhandel, und den gutgläubigen Auswanderern wurde durch Lug und Trug – etwa über den gütigen kaiser von amerika, der sie mit offenen Armen empfangen würde – der letzte Groschen aus der Tasche gezogen.

Pollack betonte, dass ihm selbst dieser die Gegenwart erhellende Blick aus der Vergangenheit erst später aufgegangen war. Mit seinem Buch wollte er vor allem eine spannende Reportage über eine historische Erscheinung schreiben, die dem heute oft verklärenden Blick auf das alte Galizien eine brutale Realität gegenüberstellt: voller Armut und unsäglicher, nur in dieser Region damals existierender Phänomene wie der Engelmacherinnen, die die unerwünschten Kinder nach der Geburt elendig zugrunde gehen ließen.

Als Quellen für sein Buch gab Pollack vor allem polnische Archive und zeitgenössische Zeitungen an, die durch Berichte über spektakuläre Fälle die einzelnen Menschen hinter dem historischen Geschehen sichtbar machen. Sie ermöglichen es dem Wiener Publizisten immer wieder, das Vergangene in reportagehafter Form zu vergegenwärtigen und damit die untergegangene Welt des multiethnischen Osteuropa seinen Lesern nahezubringen.

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Besondere Perspektive und eine »literarische Lupe«

»Grenzlandereportagen. Deutsch-polnische Schicksale und Perspektiven« war die Veranstaltung in der Berliner Literaturwerkstatt am 2. Dezember 2010 überschrieben, in der die drei Dehio-Preisträger Joanna Manc, Włodzimierz Nowak und Martin Pollack zusammentrafen.

oben: Włodzimierz Nowak | rechts: Buchcover Foto: © Piotr Skórnicki unten: Joanna Manc Foto: © Sebastian Andreasoben: Włodzimierz Nowak | rechts: Buchcover Foto: © Piotr Skórnicki unten: Joanna Manc Foto: © Sebastian Andreas

Der Abend war einem Genre gewidmet, das sich in der polnischen Literatur – ganz im Gegensatz zur deutschen – großer Beliebtheit erfreut: der literarische Reportage. Włodzimierz Nowak erläuterte die Besonderheiten dieser literarische Gattung sozusagen von innen. Im Gegensatz zur fiktionalen Literatur spiele bei der literarischen Reportage das schriftstellerische Handwerk eine größere Rolle als die Erfindungsgabe. Der ästhetische, literarische Wert einer Reportage sei meist das Resultat einer besonderen Perspektive und einer Art »literarischer Lupe«, mit der der Autor die beobachteten Fakten darstelle.

Im Publikum saßen viele junge Leute, die dem Autor nach der Veranstaltung noch zahlreiche interessierte Fragen stellten.Im Publikum saßen viele junge Leute, die dem Autor nach der Veranstaltung noch zahlreiche interessierte Fragen stellten.

Eindrucksvoll wurde dies durch die Lesung der Reportage Die Nacht von Wildenhagen aus dem gleichnamigen Sammelband unter Beweis gestellt. Nowak las ein kleines Stück aus seinem polnischen Text, gefolgt von dem nur leicht gekürzten Text in der wunderbaren Übertragung von Joanna Manc, gelesen von der Übersetzerin selbst.

Martin Pollack, als Übersetzer von Ryszard Kapuścińki und Herausgeber zahlreicher osteuropäischer Kollegen ein wichtiger Vermittler dieses Genres in der deutschsprachigen Literatur, las aus seiner neuen Reportage davon war nie die rede, das war nie im gespräch … erinnern an die roma im burgenland.

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Kaiser von Amerika: Die große Flucht aus Galizien
Martin Pollack, Georg Dehio-Buchpreisträger 2010 und designierter Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2011, im Gespräch mit Hans-Christian Trepte über sein neues Buch

Grenzlandreportagen
Deutsch-polnische Schicksale und Perspektiven | Podiumsdiskussion mit den diesjährigen Georg Dehio-Buchpreisträgern Martin Pollack, Joanna Manc und Włodzimierz Nowak; Moderation: Thomas Wohlfahrt