Generalstaatsanwaltschaft warnt Kulturminister Schwydkoj vor Rückgabe

Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 26.03.2003

Moskau, 26.03.2003, KOMMERSANT, russ., Grigorij Rewsin

Der Kulturminister der Russischen Föderation Michail Schwydkoj wurde gestern (25.03.) in die Generalstaatsanwaltschaft Russlands vorgeladen. Dort hat er eine offizielle Warnung über die Unzulässigkeit einer Übergabe an die deutsche Seite der Baldin-Sammlung, einer Sammlung der Bremer Kunsthalle, erhalten. Die Geschichte mit der Rückgabe der Sammlung geht weiter. Ein Kommentar von Grigorij Rewsin:

Der stellvertretende Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation Jurij Birjukow hatte den Kulturminister Russlands Michail Schwydkoj bereits am 17. März aufgefordert, eine Ausfuhr der Sammlung nicht zuzulassen. Die sogenannte Baldin-Sammlung aus der Bremer Kunsthalle war 1945 gesetzwidrig vom Offizier Wiktor Baldin ausgeführt worden und fällt deshalb nicht unter das Restitutionsgesetz. Sie kann jedoch nicht ausgeführt werden, da sie unter das Gesetz über die Ein- und Ausfuhr von Kunstschätzen fällt. Dieses Gesetz verlangt, dass der Eigentümer Unterlagen vorlegt, die sein Eigentumsrecht beweisen: Verträge über den Kauf oder Verkauf, über den Tausch, eine Schenkung usw. Über ähnliche Unterlagen verfügt die deutsche Seite nicht, folglich darf die Sammlung nicht ausgeführt werden.
Ein ausführliches Schreiben. Wieso Michail Schwydkoj zusätzlich vorgeladen werden musste und wieso das selbe noch einmal wiederholt werden musste, ist vom juristischen Standpunkt her unklar. Vom praktischen Standpunkt her ist der Sinn jedoch klar. Das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft war von der Mannschaft des ehemaligen Kulturministers der UdSSR Nikolaj Gubenko initiiert worden, eines scharfen Gegners der Rückgabe. Vor zwei Wochen hielt Nikolaj Gubenko und kurz danach auch Michail Schwydkoj Pressekonferenzen ab, jeder legte seinen Standpunkt dar. Schwydkoj sprach sich kategorisch für die Rückgabe der Baldin-Sammlung aus. Dem folgte das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft, welches vom Ministerium nicht kommentiert wurde. Und dann trat Ruhe ein. Der 29. März, der Rückgabetermin, kommt immer näher. Für diesen Tag war eine feierliche Zeremonie in Bremen vorgesehen. Die Gegner der Rückgabe rätseln, was das Ministerium tun wird. Das Ministerium hüllt sich unterdessen in Schweigen. Die Sammlung selbst wurde aus der Eremitage ins Depot der Vereinigung „ROSISO“ (die formal dem Kulturministerium untersteht – MD) gebracht.
Das Vorgehen des Ministeriums ist schwer vorauszusagen, da unklar ist, inwieweit das Ministerium selbst die Rückgabe initiiert hat. Es war kaum Aufgabe des Kulturministeriums, in den Mittelpunkt eines großen Skandals mit „der Verschleuderung staatlichen Eigentums“ zu geraten. Außerdem unterscheidet sich „die Handschrift“ der Rückgabe der Baldin-Sammlung völlig von der des Kulturministeriums. Vor zwei Jahren übergab das Ministerium Deutschland die Fenster der Marienkirche, die in der Eremitage aufbewahrt wurden (und ebenfalls nicht unter das Restitutionsgesetz fielen, da sie aus Deutschland für eine Restaurierung ausgeführt wurden). Man ist wie folgt vorgegangen: Ausstellung der Fenster vor der Restaurierung, die Restaurierung selbst, Ausstellung nach der Restaurierung, Herausgabe eines prächtigen Katalogs, feierliche Ausfuhr nach Deutschland, Ausstellung in Deutschland, parallel regelmäßige Meldungen über die Restaurierung von Nowgoroder Kathedralen durch die deutsche Seite, Wiederherstellung des Bernsteinzimmers sowie finanzielle Entschädigung für die Aufbewahrung der Fenster der Marienkirche in der Eremitage und Bezahlung gegenüber der Eremitage aller Kosten für die Forschungsarbeiten und die Restaurierung. Das ist klar, das ist ernste Arbeit des Ministeriums, das um den Zustand der nationalen Museen besorgt ist. Im Fall der Baldin-Sammlung wurde ganz geheim ein Befehl über die Rückgabe (am 25. Februar) unterzeichnet, die Sammlung ohne Aufsehen zu erregen aus der Eremitage nach Moskau gebracht, keine Ausstellungen zum Abschied, keine Kataloge, kein Wort über Entschädigungen, ein für solche Dinge wunderliches Tempo (alles in drei Wochen) – und die Sammlung taucht am 29. März in Bremen auf. Charakteristisch ist, dass die Teilnehmer seit Beginn dieser Geschichte von der Unterstützung der Rückgabe seitens der Präsidentenadministration sprachen. Das ist nicht die Handschrift des Kulturministeriums, sondern eine der „Geheimdienste“.
Dieser besondere PR-Typ ist gescheitert. Die Rückgabe der Sammlung ist eben wegen dieses PR-Typs gescheitert. Eben die Geheimhaltung der Operation hat Nikolaj Gubenko ermöglicht, die Rolle eines edlen Untersuchungsrichters zu spielen, der das nationale Eigentum vor Kräften schützt, die das Land ausrauben wollen. Bis zum Brief von Jurij Birjukow hat doch kein Mensch etwas Gesetzwidriges in der Rückgabe gesehen. Es griff das elementare Gesetz: wenn etwas verheimlicht wird, dann haben die sich etwas zuschulden kommen lassen.
Man kann annehmen, dass das Ministerium jetzt zu seinem alten PR-Typ zurückkehren wird, dass es eine offene Rückgabe-Kampagne entfalten wird. Die Witwe von Wiktor Baldin teilte inoffiziell mit, dass das Ministerium eine Ausstellung der Sammlung im Architekturmuseum in Moskau vorbereitet. Mitarbeiter des Museums berichteten, dass sie tatsächlich solch eine Ausstellung vorbereiten: vor dem 29. März. Sie würden jedoch nicht mit den Originalen der Bremer Sammlung, sondern mit Kopien arbeiten, die gemacht wurden, als die Sammlung im Museum aufbewahrt wurde und Wiktor Baldin Direktor des Architekturmuseums war. Die Originale selbst befinden sich im Depot der Vereinigung „ROSISO“. Das Ministerium hat eine Kommission für deren Identifizierung gebildet, der auch der Oberkustode des Architekturmuseums Irina Sedowa angehört.
All das kann davon zeugen, dass in der nächsten Zeit eine Ausstellung der Baldin-Sammlung eröffnet wird, was der Direktor des Architekturmuseums Dawid Sarkissjan kategorisch dementiert. Ihm zufolge bereitet das Museum eine Gedenkausstellung an Wiktor Baldin vor, der die Sammlung gerettet hat, nach dem jetzigen Übergabeprocedere jedoch als Plünderer betrachtet werden muss, der die Sammlung geheim, zur persönlichen Bereicherung aus Deutschland ausgeführt hat. Dawid Sarkissjan nannte sogar den Namen der Ausstellung – „Die Bremer Sammlung von Hauptmann Baldin“.
Es entsteht der Eindruck, dass das eine der Varianten ist, nach denen sich die Ereignisse entwickeln könnten, dass sie als Reservevariante vorbereitet wird. Das Ministerium konnte sich wahrscheinlich nicht entscheiden, wohin die Sammlung gebracht werden soll - in die deutsche Botschaft, ins Architekturmuseum oder anderswohin. Jetzt ist bereits offensichtlich, dass die Sammlung nicht in die deutsche Botschaft gebracht wird. Die Situation wird sich in den kommenden drei Tagen klären – bis Samstag. „Kommersant“ wird die Ereignisse weiterhin beobachten. (lr)