Artikel 9, der auf Behörden die Sprache der Minderheit als die sogenannte »Hilfssprache« erlaubte, wurde gestrichen

Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 02.12.2004

Bonn, 2.12.2004, Wirtualna Polska, Gazeta Wyborcza

Wirtualna Polska, poln., 26.11.2004

Der Sejm hat endlich das Gesetz über nationale Minderheiten verabschiedet. Aber sowohl die Verfasser des Gesetzes als auch die Spitzenvertreter der Minderheiten wollen sich dafür einsetzen, den Inhalt dieses Gesetzes, das im Sejm verabschiedet wurde, in der zweiten Kammer des polnischen Parlaments d. h. im Senat zu verändern.
Das Gesetz ist über eine sehr lange Zeit entstanden. Die erste Fassung war schon im Jahr 1989 fertig. Dann geschah aber nichts mehr. Jetzt, nachdem das Gesetz endlich verabschiedet wurde, kann man jedoch vermuten, dass es niemanden zufrieden stellt.
Die Vertreter der Minderheiten behaupten, dass das Gesetz zu wenig beinhaltet und die Gegner behaupten das Gegenteil. Vor der letzten Lesung des Gesetzentwurfes im Sejm haben die Abgeordneten 48 Veränderungsvorschläge angemeldet. Im Endeffekt wurden nur einige der Vorschläge angenommen, aber die vorgenommenen Veränderungen sind tiefgreifend.

Aus dem Gesetz wurde z. B. der ganze Artikel 9 herausgenommen, der den Mitgliedern der Minderheiten erlaubte, bei Kontakten mit Behörden die Sprache der Minderheit als die sogenannte »Hilfssprache« zu benutzen. Nach der Veränderung darf man also in der Region Opole (Oppeln) keine Anträge an die Gemeinde in deutscher Sprache stellen. In dieser Region wird man auch keine Tafel mit zweisprachigen Aufschriften benutzen können. Das betrifft sowohl die Aufschriften an den Ortstafeln als auch an den Gemeindegebäuden. Im Gesetzesentwurf waren aber Ausnahmen vorgesehen und zwar für die Ortschaften, in denen laut der letzten Volkszählung die jeweilige nationale Minderheit acht Prozent aller Einwohner ausmacht. Die Abgeordneten haben jedoch diese Hürde auf 50 Prozent erhöht.

»Wir haben die letzten 50 Jahre ohne Aufschriften in deutscher Sprache gelebt, und wir werden ohne sie auch weiter leben«, sagt Piotr Milczka, der Bürgermeister der Gemeinde Walce (Walzen) und fügt hinzu: »Wenn sich jedoch die polnische Gesetzgebung von der europäischen gravierend unterscheiden wird, wird eher der Ruf Polens und nicht die Minderheit darunter zu leiden haben. […] Andererseits gehören Personen, die nicht imstande sind, einen Antrag in polnischer Sprache zu verfassen, zu den absoluten Ausnahmen. Deutschkenntnisse sind für Standesamtbeamte ein Muss, weil sie oft mit deutschen Urkunden zu tun haben. Falls jemand Sprachprobleme haben sollte, wird der Standesamtbeamte mit Sicherheit bei der Übersetzung helfen, egal was im Gesetz vorgesehen ist«, sagt Piotr Milczka. »Solch ein Gesetz entfernt uns von Europa«, behauptet Joachim Niemann, der Spitzenvertreter der deutschen Minderheit in der Gemeinde Bierawa (Reigersfeld). […] Für diese Form des Gesetzes haben sich bei der Abstimmung im Sejm 247 Abgeordnete ausgesprochen, 133 waren dagegen und sechs Abgeordnete enthielten sich.

Unter denen, die sich für die Verabschiedung dieses Gesetz ausgesprochen haben, befand sich auch Henryk Kroll, der Spitzenvertreter der deutschen Minderheit in Polen, obwohl er vorher große Zweifel hatte: »Ich habe überlegt, mich bei der Abstimmung zu enthalten, aber dann kam ich zu dem Schluss, dass es besser ist, solch ein Gesetz zu haben, das z. B. das Recht auf Bildung in der deutschen Sprache garantiert und gleichzeitig jegliche Form von Diskriminierung der Minderheitsmitglieder rechtlich untersagt, als überhaupt kein Gesetz zu haben. Die Fehler können noch in der Zukunft ausgebessert werden« sagt Henryk Kroll und fügt hinzu: »Außerdem wollte ich Jacek Kuron die Ehre erweisen, der die Idee eines Gesetzes über nationale Minderheiten überhaupt hatte. [...]«

Gazeta Wyborcza, poln., 02.12.2004

Mehrere Senatsausschüsse haben sich dafür ausgesprochen, das im Sejm verabschiedete Gesetz über die nationalen Minderheiten in Polen zu verändern. Danach würde es den Mitgliedern der Minderheiten erlaubt, ihre Muttersprache bei Kontakten mit der jeweiligen Gemeindebehörde zu benutzen und zwar in den Gemeinden, in denen die Mitglieder der Minderheit mehr als 20 Prozent der gesamten Bevölkerung ausmachen. Ferner sollte es in diesen Gemeinden auch erlaubt werden, zweisprachige Aufschriften an den Orts- und Straßenschildern zu benutzen.

Die größten Zweifeln unter den Senatsabgeordneten wurden durch die Tatsache hervorgerufen, dass die Minderheit der Schlesier auf der Liste der nationalen Minderheiten in Polen fehlt. Der bekannte Regisseur Kazimierz Kutz sagte, dass »den Schlesiern keine andere Wahl gelassen wurde, als sich der deutschen Minderheit anzuschließen, um die Wahrung ihrer Rechte zu erreichen«. [sta]