Interview mit Władisław Bartoszewski, ehemaligem polnischen Außenminister
Jacek Pawłicki

Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 19.07.2004

Warschau, 19.7.2004, GAZETA WYBORCZA, poln.

»Hände weg von dem Heiligtum, das für die Polen der Warschauer Aufstand darstellt. Wie erwarten von Frau Steinbach weder Mitgefühl noch Entschuldigungen«, äußert sich Władisław Bartoszewski, der ehemalige Außenminister Polens über die Initiative des Bundes der Vertriebenen, eine Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes zu organisieren.

Frage: Stellt die von Erika Steinbach organisierte Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes eine Provokation dar, wie dies der polnische Botschafter in Deutschland sagt, oder handelt es sich dabei um eine Versöhnungsgeste einer Kontroversen erregenden Person?

Antwort: Die Versöhnung soll man auf jeden Fall anstreben und in bezug auf die deutsch-polnische Versöhnung haben wir viel zu verzeichnen. Ich werde jetzt nicht an alle historischen Fakten seit den sechziger Jahren erinnern, aber in bezug auf den Warschauer Aufstand und die Einstellung der Deutschen dazu erinnere ich mich an die Rede des damaligen Bundespräsidenten, Roman Herzog, am 1. August 1994, der vom damaligen polnischen Präsidenten Lech Wałęsa eingeladen wurde. Trotz der Unzufriedenheit mancher Kombattanten entschied sich Roman Herzog dazu, seine Rede zu halten. Er äußerte tiefes Bedauern und Schamgefühl im Namen des deutschen Volkes und nicht nur im Namen der Nazis. Er benutzte das Wort »Deutsche« und nicht »Nazis«. Er sprach vom Schmerz und Scham und entschuldigte sich dafür, was den Polen angetan wurde und zwar besonders während des Warschauer Aufstandes. Das reicht für uns völlig aus. Dabei handelte es sich um einen aufrichtigen deutschen Christen, der an der Spitze eines Staates steht und das Recht auf solche Aussagen hat. Wir brauchen kein Mitgefühl von anderen neuen Seiten, die für partei-politische Zwecke manipuliert werden, und mit Sicherheit brauchen wir kein Mitgefühl vom Bund der Vertriebenen.

Frage: Warum?

Antwort: Weil Frau Steinbach eine Lügnerin ist, eine Person, die sich im innenpolitischen Kampf populistischer Motive bedient. Ich würde das so formulieren: Der Warschauer Aufstand ist für viele Polen und besonders für die Bewohner Warschaus ein Heiligtum. Hände weg von diesem Heiligtum! Wir erwarten von Frau Steinbach weder Mitgefühl noch Entschuldigungen. Eine große moralische Autorität, der Bundespräsident sagte vor zehn Jahren alles, was man zu diesem Thema sagen soll. Das stellt uns zufrieden und es gibt nichts mehr zu diskutieren. Der Warschauer Aufstand ist ein Thema für Historiker und Forscher. Das ist aber kein Thema für den Bund der Vertriebenen. Wir können zwar die Zeichen des Mitgefühls nicht verbieten, aber wir können dies als eine Provokation betrachten.
(sta)