Die Kulturstaatsministerin im Deutschen Bundestag zur Förderung der Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenengesetz

Kulturstaatsministerin Weiss sprach im Deutschen Bundestag am 27. Mai 2004 zur Einbringung des Berichts der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeitgemäß § 96 Bundesvertriebenengesetz in den Jahren 2001 und 2002

Anrede,

die Bundesregierung legt den »Bericht über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundesvertriebenengesetz« zu einem Zeitpunkt vor, der gerade für die hiervon angesprochenen Menschen und Regionen von historischer Bedeutung ist. Unsere ostmitteleuropäischen Nachbarn kehren nach Europa zurück, das sie – ihrem eigenen Selbstverständnis nach – nie verlassen haben. Und sie entdecken es neu. Nach und nach erkennen wir wieder, was uns einst verbunden hat. Dabei muss man kein Historiker sein, um in Polen oder in den baltischen Ländern, in Tschechien oder in Ungarn die Spuren eines untergegangenen Kulturraums zu entdecken, der einmal Frankfurt am Main und Tallinn, Berlin und Lemberg umschloss. Wenn wir uns bewusst machen, wenn wir bereit sind, sowohl die »vergessenen Schätze« als auch die »verbrannten Trümmer« zu heben, dann werden wir auch die Frage beantworten können, wo Europa aufhört: dort, wo die Grenzen unserer gemeinsamen geschichtlichen Erfahrung verlaufen.

Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag im Jahr 2000 die »Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa« zugeleitet. Damit wurde die Grundlage geschaffen, deutsche Kulturtraditionen im östlichen Europa zu bewahren und zu pflegen. Wir haben ein Interesse daran, die vielfältige Kulturarbeit zu professionalisieren und effizienter zu gestalten. Zudem soll sie nicht im Verborgenen geschehen, sondern eine breite Öffentlichkeit erreichen. Dabei wird von einem aufrichtigen Geschichts- und Kulturverständnis ausgegangen, das weder die historischen Belastungen ausklammert, noch die unterschiedlichen nationalen und regionalen Traditionen vernachlässigt.

Die Neukonzeption hat im Berichtszeitraum zu erfreulichen Ergebnissen geführt. Zunächst einmal konnte das finanzielle Niveau im Berichtszeitraum gehalten werden. Mein Haus hat zudem ermöglicht, dass sich einige Einrichtungen zu renommierten wissenschaftlichen Institutionen entwickeln konnten. Ich denke etwa an die früheren Kulturwerke, die nun als Institute für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa (Lüneburg) und Südosteuropa (München) als universitäre An-Institute mit wichtiger Multiplikatorenfunktion wirken können. Sie folgen damit dem Vorbild des Oldenburger Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, das in Kooperation mit der Universität Oldenburg den grenzübergreifenden wissenschaftlichen Dialog von Anfang an zur Grundlage seiner Arbeit gemacht hat. Die von mir geförderten Stiftungslehrstühle für Geschichte an den Universitäten Stuttgart und Erfurt sowie für Kunstgeschichte in Leipzig haben sich etabliert. Vor zwei Jahren konnte zudem im Rahmen der internationalen Kooperation in Olmütz/Olomouc (Tschechien) ein Stiftungslehrstuhl für deutsch-mährische Literaturgeschichte eingerichtet werden. Außerdem wurde in in diesen Tagen ein vergleichbares Vorhaben an der Universität Klausenburg/Cluj in Rumänien aus der Taufe gehoben.

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Museen zu den historischen deutschen Ost- und Siedlungsgebieten eine hervorragende Arbeit leisten, wenn es darum geht, das Bewusstsein für das kulturelle Erbe wachzuhalten. Besonders bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass es mit der deutschen Einheit gelungen ist, zusätzliche Einrichtungen in den neuen Ländern zu eröffnen.

Die Kooperation mit Partnerinstitutionen in Ostmitteleuropa ist mittlerweile für alle Museen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Auch die Arbeit der Kulturreferenten in den Landesmuseen hat sich bewährt. Sie gestalten Begleitprogramme zu den Aktivitäten der jeweiligen Museen und entwickeln eigene Initiativen zur kulturellen Breitenarbeit.

Zur Verbreitung von Kenntnissen über deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa soll auch das Deutsche Kulturforum östliches Europa (DKF) mit Sitz in Potsdam beitragen, das seit 2002 vom Bund institutionell gefördert wird und sich bislang durch Vorträge, Tagungen, Ausstellungen und Publikationen hervortat.

Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen wir, was für den Erhalt von Kulturdenkmälern getan wird, die von deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa zeugen. Hier zeichnet sich eine enge Kooperation mit den örtlichen Institutionen der Denkmalpflege ab, die wir finanziell unterstützen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Neukonzeption »zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa« einen wesentlichen Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn leistet.

Das wird sich auch in den deutsch-polnischen Kulturbegegnungen zeigen, die wir derzeit vorbereiten. Ähnliches ist mit Tschechien, Ungarn und den baltischen Staaten geplant. Auch hier fließen Mittel aus § 96 BVFG ein.

Um ihre Zukunft »in Vielfalt geeint« zu gestalten, müssen sich die Völker Europas ihrer Geschichte erinnern, der gemeinsamen wie der trennenden. Deshalb bin ich froh, dass es den Kulturministern aus sechs Ländern noch vor der EU-Erweiterung gelungen ist, ein »Europäisches Netzwerk Zwangsmigration und Vertreibung« zu knüpfen.

Dieses Netzwerk soll die vielen Geschichtswerkstätten, Museen, Archive und Denkmäler in ganz Europa miteinander verbinden. Wir wollten auf die interessengeleiteten Aktionen mit einer aufrichtigen europäischen Initiative antworten und wir wollten verdeutlichen, dass es nicht reicht, das nationale Gedenken zu organisieren, sondern die europäische Forschung über dieses Thema voranzubringen.

Wir behandeln heute auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion »Das gemeinsame Kulturerbe bewahren«. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie meine Ausführungen und den Bericht zu § 96 BVFG selbst zur Kenntnis nehmen – und zwar nicht nur um der Opposition willen – dann sehen Sie, dass Ihr Antrag einer konstruktiven Grundlage entbehrt. Die Bundesregierung nimmt ihre aus § 96 BVFG kommenden gesetzlichen Verpflichtungen ernst. Mit ihrer konzeptionellen Arbeit sichert sie den Erfolg für eine Modernisierung und Zukunftsorientierung im Geist der europäischen Verständigung und wird dies auch künftig tun.