Deutsche Welle • Monitor Ost- / Südosteuropa • 29.04.2004
Warschau, 27.4.2004, NASZ DZIENNIK, poln.
In der Hauptstadt der Region Wielkopolska (Großpolen), d. h. in Poznań (Posen) wird z. Z. aufgrund einer Initiative der Aktivisten der Selbstverwaltung ein gesamtpolnischer Verband ins Leben gerufen »Gemeinschaft der Opfer der deutschen Vertreibungen«.
Diese Organisation, der die Polen angehören sollen, die Opfer deutscher Verfolgung waren (und ihre Verwandten), setzt sich zum Ziel, sich auf der internationalen Ebene den Entschädigungsforderungen der deutschen Landsmannschaften zu widersetzen und den guten Ruf von Polen in der Welt zu verteidigen. Bei der Gründung des Verbandes engagieren sich junge Juristen und Spezialisten für internationale Beziehungen. Ihre Hilfe bieten auch bekannte Wissenschaftler der Posener Hochschulen an.
Die Entstehung eines polnischen Verbandes, zu dem die Opfer der deutschen Verfolgung, Vertreibungen und Repressalien gehören, der dazu noch mit den neuesten Marketing- und Medientechniken vertraut ist und sich den Forderungen der deutschen Landsmannschaften wirksam widersetzen kann, resultiert aus einer weiteren Initiative der Selbstverwaltungsaktivisten aus der Region Wielkoposka, die bereits vor einiger Zeit die Auflistung der Kriegsschäden in diesem Gebiet gefordert hatten.
»Wir möchten nicht, dass diese Organisation mit irgendeiner politischen Option in Verbindung gebracht wird. Das soll eine breitgefächerte Bürgerinitiative werden, zu der alle Opfer deutscher Vertreibungen gehören und zwar unabhängig von ihren politischen Überzeugungen. (...) Es geht darum, dass diese Organisation imstande sein soll, sich in Zukunft z. B. an die deutsche Regierung mit Entschädigungsforderungen für verlorenes Eigentum und für alle Verluste zu wenden, die infolge deutscher Aktivitäten während des Zweiten Weltkrieges entstanden sind«, sagte Przemyslaw Piasta, Ratsmitglied des Kleinen Sejms der Region Wielkopolska und eines der Gründungsmitglieder des Verbandes »Gemeinschaft der Opfer deutscher Vertreibungen«.
Die Organisation, deren Gründungskomitee sich in Posen noch vor der offiziellen Eintragung des Verbandes konstituierte, erstreckte ihre Tätigkeit auf fast alle Städte und Kreise, die früher zu dem von den Besatzern gebildeten sogenannten »Wartheland« gehörten. Wir haben festgestellt, dass sich bei der neu gegründeten Organisation vor allem Bewohner der westlichen Regionen Polens melden als auch Familienmitglieder und Erben von Personen, die aus der Region Wielkopolska vertrieben wurden. Die meisten Anfragen kamen aus Poznań, Szczecin (Stettin ) und Bydgoszcz (Bromberg).
»Im November 1939 hatten an der Tür unseres Hauses deutsche Polizisten angeklopft. Uns wurde nicht einmal eine Stunde gegeben, um unsere Sachen zu packen und das notwendigste mitzunehmen. Meine Mutter war damals schwer krank, aber die Deutschen haben nicht erlaubt, warme Sachen und Medikamente mitzunehmen. Die ganze Zeit waren wir der Brutalität der Deutschen ausgesetzt. (...) Ich war damals sieben Jahre alt, aber ich kann diese Geschehnisse bis heute nicht vergessen. Meine kranke Mutter starb während der Vertreibung. Heute muss man über das alles laut sprechen und diese Geschehnisse in Erinnerung bringen, wie auch die Tatsache, dass wir Polen die Opfer der Vertreibungen waren«, erklärt Tomasz G. aus Bydgoszcz.
Die Organisation »Gemeinschaft der Opfer der deutschen Vertreibungen« soll sich von allen anderen ähnlichen Organisationen der Kombattanten und Kriegsopfer unterscheiden. Unter den Gründungsmitgliedern gibt es neben den Selbstverwaltungsaktivisten und den Opfern selbst auch die Nachkommen der Personen, die vor Jahren von den Deutschen aus der Region Wielkopolska vertrieben wurden sowie junge Leute – entweder Studenten oder Absolventen der Posener Hochschulen. Dazu gehören auch Juristen, Spezialisten für internationales Recht und für Verwaltung.
Ihre Hilfe haben aber auch die bekanntesten Wissenschaftler von den Posener Hochschulen angeboten, an deren Spitze Professor Zbigniew Jacyna–Onyszkiewicz (...) steht: »Die Tatsache, dass zu dieser Organisation nicht nur die Opfer deutscher Repressalien gehören, sondern auch junge Spezialisten und hervorragende polnische Wissenschaftler, wird es ermöglichen, auf der internationalen Ebene wirksam zu agieren und die Interessen der Polen effizient zu vertreten. Außerdem möchten wir gratis volle juristische Unterstützung all denjenigen gewähren, die sie brauchen. Vor allem wollen wir jedoch die deutschen Forderungen gegen den polnischen Staat wirksam blockieren« sagt Przemyslaw Piasta. (...)
»Es steht außer Frage, dass nach dem Beitritt Polens zur EU deutsche Klagen gegen das Land Polen oder gegen einzelne polnische Bürger eingereicht werden. Um sich dem Gegner stellen zu können, muss man in der heutigen Zeit sehr gut vorbereitet sein und zwar sowohl im juristischen und historischen Sinne als auch in den Bereichen Marketing, Lobbying und Logistik. Auch eine entsprechende mediale Vorbereitung ist hierfür notwendig. Da wir auf solches Handeln der polnischen Regierung vergeblich gewartet haben, wurden wir gezwungen, diese Angelegenheit selbst in die eigenen Hände zu nehmen. Ich denke, dass wir bald bereit sein werden, uns auf der internationalen Ebene den völlig unbegründeten und haltlosen Forderungen des Kreises um Frau Erika Steinbach zu stellen«, sagt Pawel Godawa, ein Student der Adam Mickiewicz Universität in Poznan und einer der Gründer des Verbandes »Gemeinschaft der Opfer der deutschen Vertreibungen«.
Die Grünungsmitglieder behaupten, dass die Idee, den Verband gerade in Poznan ins Leben zu rufen, kein Zufall sei. In dieser Stadt haben die deutschen Behörden im Jahre 1939 eines der größten Vertreibungslager eingerichtet, das »Lager Głowna« hieß. Zu diesem Lager wurden in den Jahren 1939-40 über 30.000 vertriebene Polen gebracht. (...) Die fatalen Bedingungen in diesem Lager haben dazu geführt, dass viele von ihnen starben und zwar aufgrund von Kälte, Hunger und Erschöpfung.
»Das Lager an der Głowna-Straße darf nicht in Vergessenheit geraten. (...) Aus diesem Grunde wird unser Vertreter im Stadtrat bald einen Antrag stellen, diesen Platz unter Denkmalschutz zu stellen und die Geschehnisse dort entsprechend zu dokumentieren. Das Schicksal von tausenden von Polen darf nicht in Vergessenheit geraten«, erklären die Ratsmitglieder. (sta)
- »Um sich den Forderungen der deutschen Landsmannschaften zu widersetzen«
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