Der Preis geht an Lena Sophie Dorn für die beste deutschsprachige und an Lenka Kerdová für die beste tschechischsprachige germanobohemistische Arbeit
Adalbert Stifter Verein, 28.05.2024

Zum fünften Mal insgesamt und zum dritten Mal zusammen mit dem Adalbert Stifter Verein München vergibt das Institut für Literaturforschung am 27. Juni 2024 in Prag den Otokar-Fischer-Preis. Die achtköpfige Jury entschied sich in ihrer Sitzung am 19. April für Lena Sophie Dorn und Lenka Kerdová. Zudem wurden drei lobende Erwähnungen ausgesprochen.

Benannt nach dem tschechischen Germanisten und Bohemisten Otokar Fischer (1883–1938), ist der Preis mit 1.000 Euro dotiert und zeichnet deutsch- und tschechischschreibende Autorinnen und Autoren aus, die sich in einer herausragenden wissenschaftlichen Publikation der Literatur, Musik oder bildenden Kunst, dem Theater, Film, Architektur oder der Kulturgeschichte der böhmischen Länder gewidmet haben. Der Preis macht auf germanobohemistische Arbeiten aufmerksam, und damit auf ein noch junges Forschungsgebiet, das sich mit der deutschsprachigen Kultur der böhmischen Länder, den Verflechtungen und Gemeinsamkeiten der deutschen und tschechischen Kultur und deren gemeinsamer Geschichte befasst.

Die Preisträgerinnen

Lena Sophie Dorn erhält den Otokar-Fischer-Preis für die beste deutschsprachige germanobohemistische Arbeit. Ihr Buch Übersetzungsbewegungen. Zum Verhältnis von Literaturübersetzung und Nation zeichnet die Übersetzungsdebatten zwischen dem Deutschen und dem Tschechischen im 19. Jahrhundert nach und zeigt das Doppelgesicht der literarischen Übersetzung in einer Zeit, in der sich die europäischen Nationalliteraturen herauskristallisierten und konsolidierten. Übersetzung und Übersetzen, einerseits selbstverständlich, andererseits Gegenstand polemischer Diskussionen, erwiesen sich sowohl als notwendige Voraussetzung als auch als potenzielle Bedrohung für diese Entwicklung. Die Jury würdigt das essayistische Geschick, das theoretische Wissen und die argumentative Stärke, mit der die Publikation ihre Thesen belegt, etwa jene, dass die Entstehung von Konzepten der »Nation« durch Übersetzungen erst möglich wurde. Die Autorin konzipiert »Übersetzungsbewegungen« als Prozesse, deren ästhetische, soziale und wissenschaftliche Wirkungen sich nicht nur als Vermittlung zwischen sprachlichen Umgebungen beschreiben lassen, sondern auch in paradoxen Effekten und in vielen Richtungen gleichzeitig wirksam werden.

Lena Sophie Dorn, geboren 1984, hat Slawistik und Geschichte studiert und arbeitet als Wissenschaftlerin, Übersetzerin, Autorin und Kuratorin. Sie lebt in Berlin und übersetzt Kinderbücher, Sachtexte, Lyrik und Prosa aus dem Tschechischen und Slowakischen. 2021 wurde sie mit dem Sonderpreis Neue Talente des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet.

Lena Sophie Dorn: Übersetzungsbewegungen. Zum Verhältnis von Literaturübersetzung und Nation. Wiesbaden: Harrasowitz Verlag 2023

Lenka Kerdová erhält den Otokar-Fischer-Preis für die beste tschechischsprachige germanobohemistische Arbeit. Ihre Monographie Malý Berlín ve Velké Praze. Pražská meziválečná architektura německy mluvících architektů / Klein-Berlin in Groß-Prag. Die Prager Architektur deutschsprachiger Architekten in der Zwischenkriegszeit erörtert die Rolle der deutschen Architektur in Prag und, in einem breiteren Rahmen, den Einfluss des deutschen kulturellen Milieus auf das tschechische. Sie beschreibt ausführlich ausgewählte Arbeiten deutschsprachiger Architekten im Prag der Zwischenkriegszeit und zeigt deren stilistische Vielfalt, programmatisches Selbstverständnis und Inspirationsquellen auf. Die Jury würdigt nicht nur die gut lesbare und visuell gelungene zweisprachige Gestaltung des Buches, sondern vor allem die Art und Weise, wie es die wissenschaftlich zuverlässige Interpretation eines wichtigen Teils der Prager und tschechoslowakischen Architekturgeschichte mit relevanten Kontexten – dem Werk tschechischsprachiger Architekten, den Tendenzen der mitteleuropäischen Architekturmoderne und der allgemeinen Geschichte – verbindet.

Lenka Kerdová, geboren 1988, ist Kunsttheoretikerin und Kuratorin. Sie studierte Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Prag und Kunstgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag. Bis heute ist sie auch als freischaffende Künstlerin tätig. 2020 schloss sie ihre Promotion in Kunstgeschichte ab und ging als Visiting Fellow ans Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien, wo sie seither lebt.

Lenka Kerdová: Malý Berlín ve Velké Praze. Pražská meziválečná architektura německy mluvících architektů / Klein-Berlin in Groß-Prag. Die Prager Architektur deutschsprachiger Architekten in der Zwischenkriegszeit. Řevnice: Arbor vitae societas 2022.

Preisverleihung

Die Preisverleihung findet am 27. Juni 2024 um 18 Uhr im Goethe-Institut in Prag statt und wird in unserem Youtube-Kanal live gestreamt. Durch den Abend führt der Lyriker, Essayist und Performer Jaromír Typlt, musikalisch begleitet wird die Preisverleihung von der Geigerin Daniela Matheas.

Lobende Erwähnungen

Angesichts der zahlreichen Nominierungen von hoher Qualität hat sich die Jury entschlossen, zwei Wissenschaftlerinnen und einen Wissenschaftler eigens lobend zu erwähnen:

  • Stefan Johann Schatz für sein Buch über das deutschsprachige Schulwesen im Reichsgau Sudetenland 1938–1945 (Berlin u.a.: Peter Lang Verlag 2022)
  • Martha Stellmacher für ihre Monographie zur musikalischen Praxis in Prager Synagogen vom 19. Jahrhundert bis zur Schoah (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023)
    und
  • Zuzana Urválková für ihre Arbeit über die deutschsprachige Buchreihe Album des Verlegers Ignaz Leopold Kober (Brno: Host 2022)

Otokar Fischer-Preis 2024
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