Das Denkmal an der Nogat hat sein geistig-geistliches Herzstück zurückbekommen
Kulturpolitische Korrespondenz № 1369, 25.06.2016
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Von Udo Arnold

In den verschiedenen Restaurierungsphasen des 19. und 20. Jahrhunderts war man stets bestrebt, das einst wichtigste Zentrum des Deutschen Ordens in seiner mittelalterlichen Form zu restaurieren. Das ist berechtigt, da es sich bei dem umfangreichen Gesamtkomplex um eine der größten und historisch/kunsthistorisch bedeutendsten Landburgen in Europa handelt.

Bei der Restaurierung hat Polen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Hervorragendes geleistet. Bestätigt wurde dies durch Aufnahme in die Liste der UNESCO als Weltkulturerbe im Jahre 1997.

Die Burg war von 1309 bis 1457 Zentrum eines der wichtigsten Territorien des gesamten Ostseeraumes, Preußen. Bei diesem Territorium handelte es sich aber – anders als bei den meisten anderen Territorien dieser Zeit – um ein geistliches Gebiet. Der Landesherr war ein kirchlicher Orden auf der Basis der mönchischen Gelübde von Armut, Gehorsam und Keuschheit. Daher besaß die Marienburg eine mehrfache Funktion, die über die Bedeutung einer normalen landesherrlichen Burg weit hinausging: Sie war ein zentraler Ort staatlicher Macht und zugleich ein Kloster.

In der Burg gab es mehrere Sakralräume, wie in mittelalterlichen Burgen üblich. Der wichtigste war die Marienkirche. Sie lag im Hochschloss, dem Bereich, der weitgehend den Ordensbrüdern vorbehalten war. Die Marienkirche stellte das Zentrum des monastischen Lebens der Ordensbrüder dar, z. B. für die von der Ordensregel vorgeschriebenen Stundengebete. Damit bildete die Marienkirche auch für die Restaurierung ein Herzstück in historischer Hinsicht und gleichfalls in der heutigen Vermittlung der europäischen Besonderheit der Marienburg.

Die Darstellung des Doppelcharakters des Deutschen Ordens als Landesherr und als geistliche Gemeinschaft entspricht der modernen Sicht der Wissenschaft, wie sie bereits 1990 in der international bedeutenden Ausstellung »800 Jahre Deutscher Orden« unter starker polnischer Beteiligung an Planung, Vorbereitung, Leihgaben und Katalogbeiträgen im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg stattfand. 1992 fand sie ihre Fortsetzung ebenfalls unter polnischer Beteiligung in Alden Biesen/Belgien und erlebte einen Höhepunkt in der Marienburg selber in der Ausstellung »Imagines Potestatis« 2007. Dieser Bedeutung entsprach auch die Marienkirche, was bei ihrer Restaurierung Berücksichtigung finden sollte.

Die Entscheidung über die Innenraumgestaltung der Marienkirche bedeutete eine wichtige Weichenstellung hinsichtlich des Gesamtverständnisses der Restaurierung der Marienburg.

In der Gestaltung der äußeren Baumasse der Marienkirche ist bewusst das mittelalterliche Aussehen wiederhergestellt worden. Dem entsprach auch die Planung der Rekonstruktion der Madonnenfigur in der Nische des Presbyteriums. Ziel der Restaurierung im Innern musste daher sein, den Kirchenraum aus der Situation einer notdürftig mit viel Beton gesicherten und zugänglichen Baustelle wieder in einen annehmbaren – auch sakral nutzbaren – Zustand zu überführen, auch um eine Diskrepanz zwischen Außen- und Innenrestaurierung zu vermeiden, die einem Besucher nicht zu vermitteln wäre.

In diesem Sinne durfte ich als Präsident der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens 2012 ein Gutachten erarbeiten. Die hochrangig besetzte Restaurierungs-Kommission ist 2014 zu weitestgehend ähnlichen Vorstellungen gekommen (vgl. KK 1343 vom 24. April 2014), und die Schlossverwaltung unter Direktor Dr. Mariusz Mierzwinski hat die Konzeption in erstaunlich kurzer Zeit umsetzen können, vor allem auch durch die großzügige Finanzhilfe der norwegischen »Eea grants« und »Norway grants«, denen dafür nicht genug zu danken ist.

Am 17. April fand in Anwesenheit hochrangiger Mitglieder der polnischen und der norwegischen Regierung und illustrer geladener Gäste die Einweihung des rekonstruierten Innenraums statt. Die Messe konzelebrierten Dr. Jacek Jezierski, der Bischof von Elbing, und Dr. Bruno Platter, der Hochmeister des Deutschen Ordens, ein Festakt sowie ein Konzert der »Capella Gedanensis« schlossen sich an. Damit hat die Marienburg ihr geistig-geistliches Herzstück zurückbekommen in würdiger Form, die jedoch nicht die historisierende Restaurierung des 19. Jahrhunderts wiederholt.

Es bleibt erkennbar, was den Krieg überdauert hat – einschließlich der teilweise erhaltenen Apostelfiguren unter den Wandvorlagen der Gewölbe – und was wiederhergestellt wurde. Das gilt nicht zuletzt für die farbige Ausgestaltung des Raumes. Die Wände wurden als unverputztes Ziegelmauerwerk belassen, das sowohl die Erweiterung des Raumes im 14. Jahrhundert als auch die Erneuerung nach dem Krieg erkennen lässt, die Gewölbeglieder in dunklerem, das Gewölbe selbst in hellerem Ocker ohne Farbfassung erneuert. Die Beleuchtung durch hell belassene Fenster und große, jedoch zurückhaltende Radleuchter lassen den Raum würdig und offen erscheinen, die Aufstellung des von 1504 stammenden Schreinaltars aus der Adalbertkapelle in Tenkitten mit Darstellung einer Marienkrönung, wahrscheinlich in Königsberg entstanden, verleiht ihm einen angemessenen Ostabschluss. Auch die im Westen befindliche Sängerempore ist nach diesem System wiederhergestellt worden.

Anschließend wurde auf dem östlich der Burg vorgelagerten Plauen-Bollwerk in einem kurzen Festakt die rekonstruierte Marienstatue in der Ostnische der Marienkirche der Öffentlichkeit übergeben sowie eine Gedenktafel der dafür verantwortlich zeichnenden Stiftung »Mater Dei« enthüllt. Bereits am Tag zuvor hatte Hochmeister Platter in der ebenfalls – mangels entsprechender Mittelalterüberlieferung in der Fassung von vor dem Ersten Weltkrieg – restaurierten Annenkapelle, der unter der Marienkirche liegenden Gruftkapelle der Hochmeister, eine Vesper feiern können.

Der 17. April war ein bedeutender Tag für die Marienburg, ein besonders wichtiger Baukörper erfuhr eine würdige und zeitgemäße Erneuerung und Zugänglichkeit und erhielt in der Madonnenfigur ein Wahrzeichen für das gesamte Land zurück. Dass das nicht das Ende der Restaurierungsarbeiten bedeutet, ist für einen solchen Baukomplex selbstverständlich, doch nach der Rettung des Großen Remters war dies der bedeutendste Schritt, der das Weltkulturerbe Marienburg noch beeindruckender erscheinen lässt.

Die Veröffentlichung dieses Textes, erschienen in Ausgabe 1369, erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Pressedienstes Kulturpolitische Korrespondenz – Berichte, Meinungen, Dokumente, herausgegeben von der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR.