Leben der deutschen Minderheit in Rumänien
Kenno Verseck

Deutsche Welle, Monitor Ost- / Südwesteuropa, 01.12.2003

Bonn, 01.12.2003, DW-radio / Rumänisch

Weitgehend entvölkerte Dörfer, die Verbliebenen größtenteils im hohen Rentenalter, Kirchen, die verfallen, gelegentlich Gottesdienste und zu Weihnachten und Ostern Besuche aus Deutschland – so sieht das Leben vieler deutscher Gemeinden in Rumänien aus. Nach dem Sturz des Regimes von Nicolae Ceausescu Anfang der 1990-er Jahre setzte ein Exodus der Sachsen und Schwaben in Richtung Deutschland ein. Damals war die Rede vom Ende des Kapitels der deutschen Minderheit in Rumänien. Mittlerweile aber scheint sich das Blatt zu wenden: Die Rumänien-Deutschen genießen einen sehr guten Ruf in der Öffentlichkeit des Landes, die deutschsprachigen Schulen erleben einen regen Zulauf und die deutsche Sprache ist beliebt. Vor allem an einigen Orten Siebenbürgens wie Hermannstadt inzwischen fast wieder Verkehrssprache – eine neue Chance? Keno Verseck hat sich in dem siebenbürgischen Ort Reichesdorf umgeschaut.

Reichesdorf, auf Rumänisch Richis, eine kleine Gemeinde im Herzen Siebenbürgens. Aus der ganzen Gegend sind die Sachsen, die Angehörigen der deutschen Minderheit in Rumänien, zum Erntedankfest gekommen. Aber nicht nur sie, sondern auch viele Rumänen nehmen in der Kirche Platz. Es gibt kaum noch freie Plätze. Der 27-jährige Pfarrer Gerhard Servatius freut sich: »In der Gemeinde sind eigentlich nur neun Seelen. Also, es ist ein einmaliges Ereignis, dass hier in dieser Kirche jetzt so viele Leute nach der Wende wieder zusammen kommen.«

Neun übrig Gebliebene von einst 3 000 Sachsen im Ort – es ist fast noch eine gute Bilanz, die Reichesdorf zu bieten hat. Seit dem Auszug der Deutschen aus Rumänien in den Jahren 1990 und 1991, als Hunderttausende ihrer Heimat den Rücken kehrten und nach Deutschland auswanderten, stehen in Siebenbürgen ganze Dörfer leer. Johanna Schaas, 61 Jahre, ist eine der neun Seelen in Reichesdorf: »Die Leute waren unzufrieden während der Ceausescu-Zeit, weil man nicht regelmäßig Lebensmittel sich kaufen konnte, man musste immer Schlange stehen und … jetzt gibt es Lebensmittel, aber jetzt ist kein Geld mehr da.«

Laut der letzten Volkszählung vom Frühsommer dieses Jahres leben noch etwa 60.000 Deutsche in Rumänien, die meisten davon im Rentenalter. Die Zahl der Rückkehrer aus Deutschland ist gering geblieben, obwohl der ehemalige rumänische Außenminister Adrian Severin sich 1997 im Namen Rumäniens bei der deutschen Minderheit für unter den Kommunisten begangenes Unrecht entschuldigte und die Ausgewanderten explizit zur Rückkehr ermutigte.

Dennoch schöpfen mittlerweile viele Gemeinde-Pfarrer und auch Politiker der deutschen Minderheit wieder neue Hoffnung. Blieben Sachsen oder Schwaben einst oft unter sich, so heißt das neue Motto nun: Überleben durch Öffnung. So ist zum Beispiel die Ausbildung an deutschsprachigen Schulen sehr begehrt unter Rumänen, und darüber bekommen sie oft auch einen Zugang zur Kultur und zu den Gemeinden der deutschen Minderheit.

Zu sehen ist das auch in Reichesdorf: Während die Erwachsenen im Gottesdienst sind, hält die Kantorin einen spielerischen Religions-Unterricht für die Sechs- bis Zehnjährigen ab und redet mal deutsch, mal rumänisch. Denn die Muttersprache der meisten Kinder ist Rumänisch, viele gehen aber auf eine deutsche Schule.

Der Dekan des Kirchenbezirks Mediasch in Mittelsiebenbürgen, Reinhard Guip, erklärt: »Das sind hauptsächlich Kinder aus Misch-Ehen – das will nicht negativ gesagt sein –, wo der Familienvater evangelisch-deutsch ist und die Familienmutter Rumänin, orthodox vielleicht. Das sind so die meisten Fälle, oder es sind auch beide Elternteile rumänisch-orthodox, aber dadurch, dass sie in die deutsche Schule gehen, wachsen die Kinder in die deutsche Sprache hinein und auch in die deutsche Gemeinde hinein.«

Annemarie Dörr ist ein Kind aus einer so genannten Mischehe: ihr Vater ist Sachse, ihre Mutter Rumänin. Im Gegensatz zu vielen anderen wollten ihre Eltern nicht nach Deutschland auswandern. Letztes Jahr hatte die 22-Jährige selbst Gelegenheit, Deutschland kennen zu lernen – sie hat ein Jahr in einer sozialen Einrichtung gearbeitet. Als das Jahr zu Ende war, kam sie gern wieder nach Rumänien zurück: »Es ist ja mein Heimatland, und ich war jetzt ein Jahr auch in Deutschland, aber ich würde mein Heimatland auch nicht tauschen. Also, ich denke mir mal, für mich ist Geld nicht alles, und ich hätte bestimmt auch ein Angebot in Deutschland gehabt, wo ich arbeiten könnte oder so, aber unsere Leute brauchen ja auch die Hilfe.«

Der Gottesdienst klingt mit einem Kanon aus. Die Besucher strömen langsam zu den mit Brot, Obst, Gemüse, Käse, Wurst und Fleisch reich gedeckten Tischen auf dem Kirchhof. Verse des sächsischen Dichters Georg Meyndt werden vorgelesen, dann spielt eine Blaskapelle auf.

Brigitte Both fühlt sich wohl auf diesem Fest. Die 36-jährige Sekretärin hat von 1990 bis 1992 in Schweinfurth gelebt und ist als eine der wenigen unter den ausgewanderten Sachsen nach Rumänien zurückgekehrt: »Also, eine Zeit lang hab' ich in Deutschland gelebt, zusammen mit der Familie, und konnten uns einfach nicht anpassen, und haben dann gedacht, es wäre besser heimzukehren. Man war ja immer in Verbindung mit Rumänen und Ungarn und hat ja auch gut Freunde, die Ungarn sind und Rumänen.« (fp)