Deutsche Welle, Monitor Ost- / Südosteuropa, 25.11.2003
Bonn, 25.11.2003, DW-radio / Serbisch
Zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie wurden in der Vojvodina, die damals zu Ungarn und heute zu Serbien gehört, rund 150.000 Deutsche angesiedelt. Der überwiegende Teil stammte aus dem Elsass, aus Lothringen, der Pfalz und dem Saarland, aus dem heutigen Baden-Württemberg, Luxemburg und Bayern. Nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Aufteilung der Siedlungsgebiete auf Ungarn, Jugoslawien und Rumänien wurde die Bezeichnung »Donauschwaben« geprägt. Anfang des Zweiten Weltkriegs bildeten sie mit mehr als 1,5 Millionen Menschen die größte deutsche Bevölkerungs-Gruppe in Südosteuropa. Im und nach dem Krieg flüchteten viele, andere wurden vertrieben, und die, die blieben, wurden enteignet; sie wurden in Vernichtungslager gesteckt, in denen Zehntausende umkamen. Srecko Matic hat ein Dorf der Donauschwaben besucht.
Es ist ein idyllischer Herbst in der nordserbischen Provinz Vojvodina: der Blick auf das scheinbar unendliche Tiefland, die Ruhe, die nur durch das Brummen einiger Traktoren gestört wird. Die meisten landwirtschaftlichen Arbeiten sind schon erledigt, es ist die Zeit der Erntendank-Feste in dieser Gegend, einer der fruchtbarsten in ganz Europa.
Festliche Stimmung herrscht auch bei der Familie von Johann Walrabenstein in dem Ort Backi Jarak in der Nähe von Novi Sad. Johann ist Donauschwabe. Der 62-jährige Rentner erzählt gerne, wie es war, als im 17. und 18. Jahrhundert die Habsburger Monarchie nach der Zurückdrängung der Osmanen das damals entvölkerte Südungarn wiederbesiedelten: »Karl VI. und Maria Theresia siedelten ausschließlich katholische Deutsche an, und Josef II. siedelte dann auch nachträglich noch evangelische an. Jarak war der letzte Ort, der 1787 von ausschließlich evangelischen Gläubigen angesiedelt wurde. Seit dieser Zeit sind wir hier.«
In den Urkunden und von ihren Nachbarn wurden die Siedler »Schwaben« genannt, obwohl nur wenige von ihnen tatsächlich aus der süddeutschen Region Schwaben kamen. Die Walrabensteins sind »echte« Schwaben, sie stammen aus Ludwigsburg, nördlich von Stuttgart. Als Sohn einer Bauernfamilie hat sich Johann damals gegen die Landwirtschaft entschieden, er studierte Germanistik. Seine Liebe galt alten Dokumenten: »Ich habe einen ganz besonderen Beruf. Ich war Abteilungsleiter im Landesarchiv der Vojvodina und zuständig für ältere Schriften, also Unterlagen vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis 1918. Das sind also alle Schriften, die in Wirklichkeit in vier Sprachen geschrieben wurden, weil ja hier vier Sprachen benutzt worden sind. Im 17. und im 18. Jahrhundert Latein, Deutsch, Slaveno-srpski – also alt-serbisch – und dann im 19. Jahrhundert Ungarisch.« Die Vojvodina ist immer noch vielsprachig und multikulturell. Das Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ist für die Balkan-Region vorbildlich.
Besonders unter den jungen Leuten, sagt Johanns ältere Tochter Ksenija, werde seit langem nicht mehr gefragt, ob einer Deutscher, Ungar, Serbe oder Slowake sei: »Ich habe eine wunderbare Kollegin an der Uni, die mich unzählige Male zu Hause besucht hat, bei mir übernachtet hat, mit der ich so oft gelernt habe. Ich weiß immer noch nicht, welche Nationalität sie hat, und das habe ich sie noch nie gefragt. Es spielte einfach keine Rolle.«
Die 28-Jährige studiert Betriebswirtschaft. Sie spricht lieber Serbisch, obwohl sie auch Deutsch kann. Über Deutschland informiert sie sich durch Bücher und verfolgt mit großem Interesse die Fußball-Bundesliga. Anders als ihr Vater, der im ständigen Kontakt mit seinen Verwandten in Deutschland steht, ist das Land ihrer Ahnen für sie etwas fremd – ein Land wie jedes andere, sagt sie. Ihre Heimat sei die Vojvodina, und dort wolle sie bleiben. Die Zahl der Donauschwaben sinke, erzählt Johann mit trauriger Stimme: »Hier in der Vojvodina sind, soviel ich weiß, vielleicht noch 2.000 – man sagt zwar 3.000, aber ich glaube es kaum, weil die meisten nicht mehr Deutsch sprechen, sie fühlen sich auch nicht mehr als Deutsche.«
In der Vojvodina sind die Deutschen in mehreren Volksgemeinschaften organisiert. Obwohl die deutsche Minderheit so klein ist, gibt es zahlreiche Treffen, kulturelle Aktivitäten und alte Bräuche werden gepflegt, zum Beispiel das gemeinsame Backen der Osterkuchen. Meistens sind das aber ältere Donauschwaben – die jungen bleiben aus und interessieren sich kaum noch für die Ursprünge ihrer Kultur. Sie sind, so kann man sagen, vollständig assimiliert.
Einige vermissen aber auch Unterstützung aus Deutschland, der »alten Heimat«. Stjepan Seder ist Präsident des »Deutschen Vereins für gute nachbarschaftliche Beziehungen« in Karlowitz: »Wenn ich das so sagen darf: Wir sind in Deutschland vielleicht nicht besonders interessant, weil wir so wenige sind – oder was weiß ich warum.« Hier passiere viel, aber es ändere sich sehr wenig, sagt Johann Walrabenstein mehrmals während unseres Gesprächs. Deswegen will er mit Politik wenig zu tun haben. Lieber widmet er sich seiner großen Leidenschaft, der Jagd – zusammen mit seinen deutschen Bekannten, die seit zwei Jahren wieder Stammgäste in Backi Jarak sind: »Sie jagen vor allem Wachteln und Fasanen. Zur Hasenjagd waren sie noch nicht da, wir haben kein großes Wild hier, nur Kleinwild, aber mein Gott, sie sind damit zufrieden! Und das ist das Wichtigste.« (fp)