Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, 04.03.2015
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ADZ: Hat es eine geschichtliche Erklärung, dass Südosteuropa so konfliktreich ist?
Konrad Gündisch: Alle Länder und Regionen haben im Laufe der Zeit ähnliche Krisen durchgemacht. Man denke an den dreißigjährigen Krieg in Deutschland, die Hugenottenkriege in Frankreich, die Revolution in England. Andererseits waren die Regionen im Südosten Interferenzräume von Großmächten wie das osmanische, das russische, das Habsburgerreich. Zur Instabilität trägt auch die sehr vielschichtige Ethnizität und konfessionelle Zugehörigkeit bei: Mehrere unterschiedliche Zivilisationen mussten neben- und gegeneinander leben. Viel diskutiert wird zum Beispiel über die Kulturgrenze zwischen Katholizismus und Orthodoxie, die einer europäischen West-Ost-Linie entspricht. In Rumänien ist die imaginierte Kulturgrenze entlang der Karpaten bei regierungsnahen Kreisen besonders verhasst, denn sie deutet auf eine symbolische Teilung des Landes, wobei die Verfassung Rumäniens im ersten Paragraph festlegt, dass das Land einheitlich und unteilbar ist.
ADZ: Besteht die Kulturgrenze heute noch oder ist sie Vergangenheit?
Konrad Gündisch: Diese Frage beantworte ich ganz empirisch: Heute noch, wenn man durch die Nordmoldau – die frühere Bukowina – fährt, kann man die Grenze finden. Die 200 Jahre andauernde Sozialdisziplinierung durch das Habsburgerreich ist noch immer spürbar: In einem Dorf herrscht eine für den Westeuropäer sichtbarere Ordnung, im nächsten gibt es das nicht, obwohl acht Jahrzehnte und mehrere Verwaltungsreformen inzwischen vergangen sind. Man merkt es an der Infrastruktur, an den Straßen, am Häuserbau, an den Mentalitäten. Es ist einfach zu sagen, »wir sind ein einheitlicher Staat« – aber es funktioniert nicht ganz. […]
Im Fokus: die deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas
Das gesamte Gespräch in der Online-Ausgabe der Allgemeinen Deutschen Zeitung