Der litauische Schriftsteller Tomas Venclova über sein Verhältnis zu Europa
Joachim Scholl
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Deutschlandradio Kultur, 03.04.2013

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Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem litauischen Schriftsteller, Lyriker und Essayisten Tomas Venclova. Sie haben der Hauptstadt Vilnius, Herr Venclova, in einem Buch ein sehr schönes Denkmal gesetzt. »Eine Stadt in Europa« heißt es im deutschen Untertitel. Und Sie begreifen die Stadt als einen Palimpsest, eine mehrfach überschriebene alte Handschrift. Wie sieht demnach der Urtext aus? Also, was kann man an Vilnius für Europa Besonderes ablesen?

Venclova: Nun, der Urtext ist ein litauischer. Es waren litauische Stämme, die die Stadt Vilnius gegründet haben, auch als Hauptstadt Litauens damals. Und dann sind, sehr viele Schichten haben sich darüber gelagert. Es gab eine russische Schicht, eine jüdische, eine deutsche Schicht, es gab eine sehr starke lutheranische Gemeinde in Vilnius, es gab eine italienische Schicht. Und so überlagerten sehr viele Schichten dieses ursprüngliche litauische, diesen ursprünglichen litauischen Text. […]

Deutschlandradio Kultur: Vilnius wie eine alte Handschrift lesen