Deutsche Welle Monitor Ost- / Südosteuropa, 18.09.2003
Warschau, 18.09.2003, TRYBUNA, poln.
Den polnischen Vertriebenen wird in dem deutschen Zentrum gegen Vertreibungen ein fester und nicht ein zeitbegrenzter Ausstellungsplatz gewidmet. Das ist die einzige konkrete Schlussfolgerung, die sich aus einer mehrstündigen Diskussion ableiten lässt, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Redaktion der Zeitung »Rzeczpospolita« veranstaltet wurde.
Die Diskussion zum Thema »Europäisches oder nationales Gedenken? – Eine Debatte über das Zentrum gegen Vertreibungen« musste einfach für Emotionen sorgen. Zum ersten Mal nahm an der Diskussion auch die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, teil, die beabsichtigt, in Berlin eine Gedenkstätte zu errichten, die dem Schicksal der Deutschen gewidmet werden soll, die aus ihren Wohngebieten nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden.
An einem Tisch saßen Befürworter der Errichtung des Zentrums gegen Vertreibungen (diese Idee unterstützt außer Erika Steinbach auch die bekannte deutsche Publizistin Helga Hirsch) und – wesentlich zahlreicher vertreten – Gegner, wie der Abgeordnete der SPD Dietmar Nietan und der Abgeordnete der Grünen – Jerzy Montag; von der polnischen Seite – Józef Oleksy, Professorin Anna Wolff -Powęska, Donald Tusk und Marcin Libicki.
»Die Deutschen haben zwar das Recht auf Erinnerung, aber diese Erinnerung dürfen die Geschichte nicht verändern«, erklärten einstimmig die Gegner des Zentrums. Sie äußerten Befürchtungen, dass – falls die Idee von Frau Steinbach verwirklicht werden sollte – die deutsch-polnischen Beziehungen, an denen mit so viel Mühe gearbeitet wurde, darunter leiden würden. Auch werde das Vertrauen verletzt, das die Polen den Deutschen geschenkt haben. Die Gegner ließen sich jedoch durch die Beteuerungen von Erika Steinbach nicht fest davon überzeugen, dass die geplante Gedenkstätte in Berlin einen europäischen und nicht einen nationalen Charakter haben werde. […]
Während der Diskussion wurden im Saal viele Fragen gestellt: Warum sollte man an das Schicksal der Vertriebenen erinnern und nicht an die Opfer der Bombardements deutscher Städte oder an die vergewaltigten Frauen? Vielleicht sollte man ein Museum bauen, das heißen würde »Die Deutschen haben den Deutschen dieses Schicksal bereitet«. Die Einen sprachen von der Rückkehr der Dämonen und andere davon, dass man eine alte Leiche aus dem Schrank geholt habe.
»Die Menschen können das Leid der Anderen nicht mitfühlen, wenn ihr eigenes Leid nicht gewürdigt wurde«, sagte Professorin Anna Wolff-Powęlska und fügte hinzu: »Es gibt zwar eine neue Phase in den polnisch-deutschen Beziehungen, aber auch alte Emotionen.« […]
Erika Steinbach schien durch die Tatsache überrascht zu sein, dass diese Diskussion so stark von Emotionen und persönlichen Erinnerungen der Teilnehmer geprägt war. Sie versuchte die Ziele zu erörtern, die sich die von ihr gegründete Stiftung gesetzt hat (»Wir möchten nicht nur auf das Schicksal der deutschen Vertriebenen hinweisen, sondern auch auf das anderer Nationen«). Sie sprach von ihrem Großvater, der im Konzentrationslager ums Leben kam und dann erklärte sie: »Ich bitte um Vergebung und vergebe«.
Am Ende der Diskussion musste die Frage gestellt werden, ob Erika Steinbach nach dem, was sie während der Diskussion gehört habe, ihre Konzeption des Zentrums ändern werde und ob die große Arbeit, die für die polnisch-deutsche Versöhnung geleistet wurde, vergeudet werden soll? »Wir wollen nach Wegen der Verständigung suchen« antwortete Erika Steinbach und fügte hinzu: »Ich bin davon überzeugt, dass Deutsche und Polen durch starke Bande verbunden sind, die durch unsere Debatte nicht erschüttert werden können« sagte Erika Steinbach und beteuerte: »Die Stiftung will die polnisch-deutschen Beziehungen nicht zerstören«. (Sta)