Deutsche Welle Monitor Ost- / Südosteuropa, 02.09.2003
Warschau, 1.09.2003 PAP, poln.
Aleksander Kwasniewski sagt, Polen stehe dem Vorhaben, in Berlin ein Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, kritisch gegenüber. Ein solches Zentrum sollte der Versöhnung dienen, fügt Leszek Miller hinzu. Wenn ein solches Zentrum in Berlin errichtet wird, sollte Polen ein eigenes Projekt vorstellen, meint der Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) Leon Kieres.
»Mit Besorgnis denken wir an die in Deutschland ergriffene Initiative, die dem Prozess der Versöhnung schaden und bei der empfindsamen gemeinsamen Bewertung der Geschichte einen Schritt rückwärts bedeuten kann. Wir dürfen der Initiative, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, nicht gleichgültig gegenüber stehen«, sagte Präsident Kwasniewski bei einem Treffen mit Kombatanten anlässlich des 64. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges am Montag (01.09) im Präsidentenpalast. »Man darf den gesamten historischen Kontext der Vertreibungen nicht vergessen, die die deutsche Bevölkerung in den Jahren 1944 und 1945 erleiden musste. Man muss zwischen Ursachen und Folgen unterscheiden. Man muss sich daran erinnern, wer den Krieg angezettelt hat, wer der Aggressor war und wer das Opfer des Überfalls«, fügte der Präsident hinzu.
»Die Idee, ein Zentrum zu errichten, muss der Versöhnung zwischen den Völkern dienen und nicht dem Ziel, neue Forderungen zu stellen«, schrieb Premierminister Miller in einem (offenen) Brief an die Zeitung »Gazeta Wyborcza«. „Mit der Vertreibung der Juden aus dem Gebiet des Dritten Reiches und – seit September 1939 – mit der Vertreibung der Polen aus den Gebieten, die Nazideutschland angegliedert wurden, wo sofort Deutsche aus der mit Stalin vereinbarten »sowjetischen Einflusszone« – aus den baltischen Ländern, aus Wolynien, Bessarabien – angesiedelt wurden, setzte das Dritte Reich einen Mechanismus von ethnischen Säuberungen, Aussiedlungen und Deportationen in Gang, der bisher einmalig war«, betonte Leszek Miller.
»Die Deutschen aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen haben für Hitlers Krieg einen höheren Preis bezahlt als die Bewohner Sachsens, des Rheinlands oder Bayerns - trotz der Bombardierungen von Köln, Dresden oder München durch die Alliierten. Dieser Preis war jedoch nicht höher als der, den Millionen von Menschen zahlen mussten, die deportiert, zu Sklavenarbeit entführt oder gezwungen wurden, ihre eigenen Wohnungen innerhalb von fünfzehn Minuten zu verlassen, weil »deutsche Viertel« oder jüdischen Ghettos in den von der Wehrmacht besetzten Städten gegründet wurden«, fügte der Premierminister hinzu. »Die Erinnerungsstätten an Aussiedlungen, Deportationen und Vertreibungen sollte wirklich einen europäischen Charakter haben und sorgfältig vorbereitet werden. Polen, Tschechien und Deutschland können diesem Vorhaben gemeinsam einen Impuls verleihen und sich an den Europarat mit der Bitte um die Schirmherrschaft wenden. Die Idee, ein Zentrum zu errichten muss der Versöhnung zwischen den Völkern dienen und nicht dem Ziel, neue Forderungen zu stellen. Es muss eine Einrichtung sein, die den gutnachbarschaftlichen Beziehungen dient und nicht der Aufrechnung des Leids und Forderungen«, meint Leszek Miller.
Wenn das Zentrum gegen Vertreibungen dennoch in Berlin entstehen sollte, dann sollte auch Polen eine eigene diesbezügliche Initiative ergreifen, findet der Vorsitzende des Instituts für Nationales Gedenken Leon Kieres. IPN habe schon früher auf die Möglichkeit der Errichtung eines Zentrums für die Untersuchung der Verbrechen totalitärer Systeme, insbesondere des nationalsozialistischen und des kommunistischen Systems, hingewiesen. Dieses Zentrum brauchte nicht unbedingt in Polen zu entstehen. Kieres unterstützt die Idee, dem Zentrum einen erweiterten europäischen Charakter zu verleihen. Er betonte, dass niemand das Recht habe, einer anderen Nation zu verbieten, solche Zentren zu errichten: »Aber ich bin davon überzeugt, dass die Initiative von Frau Erika Steinbach alle Bemühungen derer zunichte macht, die vieles für den Prozess der polnisch-deutschen Vershöhnung geopfert haben«, erklärte Leon Kieres. Er betonte, ein solches Zentrum stigmatisiere die Polen - nicht als Opfer, sondern als Verursacher des Leids der Deutschen. »Sie haben sich aber selbst für dieses Leid entschieden, denn sie haben in demokratischen Wahlen Hitler gewählt, sich für den Nationalsozialismus entschieden.« Seiner Meinung nach »sollten die Deutschen sich nicht nur dazu bekennen, den Krieg verursacht zu haben, sondern auch zu den Folgen des Krieges stehen, d.h. zu den Vertreibungen, die sie erleiden mussten«. Der Leiter des Instituts für Nationales Gedenken erinnerte daran, dass Polen sich an der Potsdamer Konferenz nicht beteiligte, auf der die Siegermächte die Entscheidung über die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung trafen. »Polen war nicht der Architekt dieser Umsiedlungen«, fügte Leon Kieres hinzu.
Nach Ansicht von Leon Kieres könnte das Zentrum in Wrocław (Breslau) errichtet werden und allen Vertreibungen, nicht nur denen im Krieg, gewidmet sein. Seiner Meinung nach ist es durchaus möglich, solch ein Zentrum unter der Schirmherrschaft des Europarates oder des Hohen Flüchtlingskommissars der UNO entstehen zu lassen. »Wie dem auch sei – Polen darf in einem solchen Zentrum nicht fehlen, auch wenn es sich nur auf das polnisch-deutsche Verhältnis beschränken sollte, denn dann verlieren wir jeglichen Einfluss auf die Gestalt dieser Institution«, so Kieres.
»Ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin würde zwangsläufig zu Unstimmigkeiten und Kontroversen führen«, meint Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz. Er sagte, dass sowohl von Polen als auch von anderen Staaten Vorschläge gemacht werden, einen anderen Standort für das Zentrum zu wählen und seinen Charakter zu ändern, um es zu einem Projekt zu machen, »das die Probleme der Toleranz und der Versöhnung zwischen den Völkern Europas zum Inhalt hat«. Als Standort genannt worden seien beispielsweise Straßburg oder Sarajevo.
Der Außenminister Polens äußerte seine Zufriedenheit über die Tatsache, dass in den letzten Tagen Meinungen von deutschen Spitzenpolitikern, u.a. von Gerhard Schröder und Joschka Fischer, zu hören seien, die dem polnischen Standpunkt nahe kämen. »Ich hoffe, dass die Stimmen der Vernunft eine falsche Lösung verhindern«, sagte Włodzimierz Cimoszewicz.
Seit drei Jahren setzt sich eine deutsche Stiftung, die von der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Vertriebenen, Erika Steinbach, und dem SPD-Politiker Peter Glotz geleitet wird, dafür ein, das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten. Bei vielen Politikern, darunter Schröder, Fischer und Präsident Johannes Rau, findet diese Idee jedoch keinen Zuspruch. Die deutschen Christdemokraten sind aber einmütig dafür. (Sta)