Hermann Rudolph

Der Tagesspiegel • 19.12.2011

Er wollte erneuern – und verlangte, sich dafür anzustrengen. Eine Haltung, die ihn unbequem machte, auch für seine Anhänger. Aber sie hinderte ihn nie daran, pragmatisch zu handeln. Keiner hat für die tschechisch-deutsche Aussöhnung so viel getan wie Václav Havel, der am Sonntag verstarb.

[…] Die Deutschen haben besonderen Anlass, Havels mit Dankbarkeit zu gedenken. Denn keiner hat sich so wie er für die tschechisch-deutsche Aussöhnung eingesetzt. Er durchbrach in seinem Land den Bann der Verdrängung der Vertreibung, indem er sie öffentlich als »moralisch verwerflich« bezeichnete, obwohl er sich im Klaren darüber war, was ihn das an Sympathien kosten würde. Dieses erstaunliche Exempel einer gewagten Geschichtspolitik begann gleichsam in der Stunde Null des europäischen Umbruchs. Gerade zum Präsidenten gewählt, überraschte er seine Landsleute und die Bundesrepublik mit einem hochsymbolischen Akt, der den Dramatiker erkennen ließ: Am gleichen Tag absolvierte er zwei Staatsbesuche, in (Ost-)Berlin und München, und verband damit sozusagen in einem Hand-, sprich: Flug-Streich zwei für die Tschechen traumatische Daten – vormittags Berlin, wo Hitler 1939 den tschechischen Ministerpräsidenten zur Kapitulation zwang, nachmittags München, wo 1938 das Abkommen geschlossen wurde, das den Anfang vom Ende der freien Tschechoslowakei und den Auftakt zum Krieg bedeutete. […]