Von Wolfgang Wittstock
Sibiu/Hermanstadt, 15.08.2003, HERMANSTÄDTER ZEITUNG, deutsch
Zu den nicht wenigen Restitutions- und Reparationsgesetzen, die in den Jahren seit der politischen Wende vom Dezember 1989 in Rumänien zugunsten der vom Kriegs- und Kriegsfolgenschicksal Betroffenen und der Opfer kommunistischer Willkür verabschiedet wurden, kam kürzlich ein weiteres hinzu: das Gesetz Nr. 290/2003, veröffentlicht im Staatsanzeiger (Monitorul Oficial al Romaniei), Teil I, Nr. 505 vom 14. Juli 2003, das eine Art Lastenausgleichsgesetz für Flüchtlinge aus Bessarabien und der Nordbukowina darstellt.
Bekanntlich besetzte die Sowjetunion in den letzten Junitagen des Jahres 1940 Bessarabien, die Nordbukowina und das Gebiet Hertza. Damals und dann wieder im Jahr 1944 flüchteten viele rumänische Staatsbürger aus den genannten Gebieten, wobei sie ihr Hab und Gut an Ort und Stelle zurücklassen mussten. Durch den 1947 in Paris mit Rumänien unterzeichneten Friedensvertrag wurden erstens der Sowjetunion die 1940 von Rumänien annektierten Gebiete zugesprochen und zweitens verpflichtete sich Rumänien, seine Staatsbürger für die Güter zu entschädigen, die von den Siegermächten übernommen worden waren. Dies ist der historisch-rechtliche Hintergrund, der zur Verabschiedung des neuen Gesetzes Nr. 290/2003 führte.
Wie die meisten Restitutions- und Wiedergutmachungsgesetze hat auch das Gesetz Nr. 290/2003 einen recht umständlichen Titel: »Gesetz über die Gewährung von Entschädigungen und Kompensationen an rumänische Staatsbürger für die ihnen gehörenden Güter, die, infolge des Kriegszustandes und der Anwendung des Friedensvertrages zwischen Rumänien und den Alliierten und Assoziierten Mächten, unterzeichnet in Paris am 10. Februar 1947, in Bessarabien, der Nordbukowina und im Gebiet Hertza beschlagnahmt bzw. zurückbehalten wurden oder verblieben sind.«
Die vom Gesetz Nr. 290/2003 vorgesehenen Entschädigungen und Kompensationen beziehen sich auf immobile Güter (Grundstücke, Gebäude), die die Flüchtlinge in den Herkunftsgebieten zurückließen, sowie auf die nicht eingebrachte Ernte des Jahres 1940. Grundstücke (landwirtschaftliche Nutzflächen, Forste), sollen nach Möglichkeit in natura kompensiert werden, unter Berücksichtigung der Bestimmungen der bisherigen Bodenrückgabegesetze, auch jener hinsichtlich des Höchstmaßes der restituierbaren Bodenflächen. Für Grundstücke, die nicht in natura kompensiert werden können, für Gebäude und für die nicht eingebrachte Ernte des Jahres 1940 sollen geldliche Entschädigungen gewährt werden.
Entschädigungs- bzw. kompensationsfähig auf Grund des Gesetzes Nr. 290/2003 sind die ehemaligen Eigentümer oder ihre legalen Erben bis zum vierten Verwandtschaftsgrad einschließlich, falls sie zum Zeitpunkt der Antragstellung die rumänische Staatsbürgerschaft und den Wohnsitz in Rumänien haben.
Zuständig für die Bearbeitung der entsprechenden Anträge sind die Kommissionen, die innerhalb der Kreispräfekturen zwecks Anwendung eines früheren Entschädigungsgesetzes gebildet wurden, nämlich des Gesetzes Nr. 9/1998 über die Gewährung von Kompensationen an rumänische Staatsbürger für die Güter, die, infolge der Anwendung des Vertrages zwischen Rumänien und Bulgarien, unterzeichnet am 7. September 1940 in Craiova, ins Eigentum des bulgarischen Staates überführt wurden.
Das Lastenausgleichsgesetz Nr. 290/2003 für Flüchtlinge aus Bessarabien und der Nordbukowina ist am 14. August d.J., einen Monat nach seiner Veröffentlichung im Staatsanzeiger, in Kraft getreten. Binnen neun Monaten ab diesem Datum, d.h. bis zum 13. Mai 2004, können die berechtigten Personen ihre Anträge mit den dazugehörigen beglaubigten Belegen bei den genannten Kreiskommissionen abgeben. In Ausnahmefällen stehen für die Beibringung der nötigen Dokumente weitere sechs Monate zur Verfügung.
Gegen die Beschlüsse der Kreiskommissionen kann bei der Landeskommission Einspruch erhoben werden. Deren Beschlüsse wiederum können durch verwaltungsgerichtliche Verfahren angefochten werden. Bei günstiger Erledigung der Anträge werden die Entschädigungen bzw. Kompensationen durch die Kreisfinanzämter ausbezahlt, in deren Zuständigkeitsbereich die Antragsteller ihren Wohnsitz haben. Das Gesetz Nr. 290/2003 enthält detaillierte Bestimmungen über die zügige Ausbezahlung dieser Summen.
Abschließend möchten wir auf die Frage eingehen, ob zu den Nutznießern des Gesetzes Nr. 290/2003 auch rumänische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit gehören werden. Dies ist selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Bessarabien- und die Bukowina-Deutschen im Herbst des Jahres 1940 nahezu geschlossen nach Deutschland oder in die von Deutschland besetzten Gebiete Polens umgesiedelt wurden keineswegs auszuschließen. In Frage kommen Landsleute, die bis 1940 in Bessarabien oder der Nordbukowina lebten und heute als rumänische Staatsbürger ihren Wohnsitz in Rumänien haben sowie in Rumänien lebende Nachfahren von Deutschen aus den Gebieten, die die Sowjetunion 1940 besetzte. Personen, die diesen Kategorien angehören, gibt es unseres Wissens tatsächlich. (fp)
Rumänisches Lastenausgleichsgesetz
Der Originalartikel in der Online-Ausgabe der Hermannstädter Zeitung