Worum geht es eigentlich in dem absurden Streit um den Nachlass Max Brods? Anmerkungen zu einer Geschichte, die nicht enden will.
Reiner Stach

Frankfurter Allgemeine Zeitung • 07.08.2010

[…] Es ist das bislang letzte Kapitel einer ebenso wendungsreichen wie traurigen Geschichte, die seit fast einem Jahrhundert auf ihr gutes Ende wartet: der Geschichte von Kafkas Manuskripten. Wie Max Brod seinem zaudernden Freund die mit Tinte beschriebenen Blätter entriss, wie er sie, entgegen Kafkas testamentarischem Wunsch, der Nachwelt überlieferte und wie er sie schließlich vor dem Einmarsch der Nazis aus Prag rettete: das alles zählt längst zur germanistischen Folklore. Doch dieser heroischen Epoche folgte ein von Fehlentscheidungen, Besitzdenken und juristischen Spitzfindigkeiten geprägtes Nachspiel, das weit weniger bekannt ist und das die Öffentlichkeit nun kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt. […] Es geht um die kulturelle Verantwortung für literarische Dokumente von übernationalem Interesse, und es ist nicht einzusehen, inwieweit die öffentlich begründete Bereitschaft, diese Verantwortung zu übernehmen, den Ruf des Marbacher Archivs in irgendeiner Weise schädigen könnte. Raulff verfügt über die materiellen und personellen Ressourcen, um einen Nachlass auch dieses Umfangs zügig zu erschließen und der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, und sein Haus hat jahrzehntelange Erfahrung mit deutsch-jüdischen literarischen Nachlässen. Das sind starke Argumente, die für Marbach sprechen. […]