Auf dem Bukarester »Bookfest 2010« präsentierte der Humanitas Verlag das Werk Herta Müllers
Lars Ulbricht

Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien • 18.06.2010

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der allgemeinen deutschen zeitung für rumänien.

»Trotz tropischer Temperaturen hatten Hunderte Bukarester am Wochenende den Weg zur Buchmesse ›Bookfest 2010‹ gefunden. Am Stand des Humanitas Verlages wurde auch eine der großen Neuerscheinungen präsentiert, Herta Müllers atemschaukel in rumänischer Sprache. Alexandru Al. Sahighian hat das neueste Buch der geborenen Banater Schwäbin und Wahlberlinerin übersetzt. Im letzten Jahr wurde Herta Müller mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Entgegen landläufiger Meinungen wird dieser Preis für das Gesamtwerk vergeben, von dem der Roman atemschaukel sicher ein Höhepunkt ihres bisherigen Schaffens ist.

Neben dem Übersetzer waren auch Mircea Cărtărescu, einer der großen Autoren des Verlages, Müllers Agentin in Rumänien, Simona Kessel, die Leiterin der Deutschen Welle in Bukarest, Rodica Binder, und die zuständige Verlagschefin Denisa Comănescu zur Präsentation gekommen. Rodica Binder zitierte eine Buchkritik der zeit, in der das Buch als Meilenstein und als Neuerung besprochen wird. Müllers Buch berühre die Deutschen und dabei ein Thema, das lange nicht im Fokus stand: die Deportationen von Deutschen Richtung Sowjetunion im Januar 1945. Es bedurfte allerdings auch einer Autorin wie Herta Müller, um dieses Thema erfolgreich aufzunehmen und in einem Roman zu behandeln, der einzigartig sei.

Simona Kessel zitiert aus Müllers atemschaukel, aus der der Verlag den rumänischen Titel leaganul respiratieiLeagănul respiraţiei“ gemacht hat: ›Vom Lagerglück. Glück ist etwas Plötzliches. Ich kenne das Mundglück und das Kopfglück.‹ Und weiter:

Besser als vom Mundglück kann man vom Kopfglück reden. Das Mundglück will allein sein, es ist stumm und innen angewachsen. ... Das Kopfglück ist zerstückelt und schwer zu sortieren, mischt sich, wie es will und wandelt sich schnell vom hellen zum dunklen verwischten blinden missgünstigen versteckten flatternden zögerlichen ungestümen zudringlichen wackligen abgestürzten fallengelassenen gestapelten eingefädelten betrogenen fadenscheinigen zerkrümelten verworrenen lauernden stachligen mulmigen wiedergekehrten frechen gestohlenen weggeworfenen übriggebliebenen um eine Haar danebengegangenen Glück.
Herta Müllers Roman ist auch im Rumänischen für den Leser kein einfaches Lesestück geworden. Müller schreibt kompromisslos, sie verdichtet die Sprache und bringt es zum Vorschein: das Lager, die Angst, den Hunger, und wieder die Angst, die Gerüche.

Der Übersetzer Alexandru Al. Sahighian betonte, dass auch in Rumänien die Lager für Deutsche lange Zeit kein Thema sein durften, aber auch jetzt kaum einer etwas über dieses Lagersystem und die Deportation der Rumäniendeutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges weiß: »Der Roman ist sehr notwendig, auch um die gesellschaftliche Diskussion anzustoßen, was ein totalitäres System bedeutet«. Sahighian hatte bereits der könig verneigt sich und tötet von Herta Müller für den Humanitas Verlag übersetzt.

Zum Abschluss machte auch Mircea Cărtărescu wortgewaltig klar, was er von Herta Müllers Roman und der Autorin hält. Er verglich Herta Müller mit den griechischen antiken Seherinnen: ›Sie ist wie eine mythische griechische Figur, eine Frau und moralische Instanz unserer Zeit‹. Er sprach vom Nobelpreis als Atombombe für einen Autor. So stand Müller plötzlich mitten im grellen Licht der Aufmerksamkeit und sei doch schon immer Kämpferin für die Freiheit gewesen. Jemand, der keine Kompromisse mache und überhaupt das Wort nicht kenne und darum auch nicht leicht zu lesen sei. Jemand, der schon gar keine gefällige Literatur produziere und nie eine ›Massenautorin‹ gewesen sei.

Angekündigt wurde auch der Besuch von Herta Müller am 27./ 28. September, 18 Uhr, im Rumänischen Athenäum in Bukarest, bei dem die Autorin geehrt werden soll und ein Gespräch mit dem Verleger und Philosophen Gabriel Liiceanu stattfindet.«
(Quelle: allgemeine deutsche zeitung für rumänien)