Ostpreußens vergessener Süden

Deutsche Welle Monitor Ost-/Südosteuropa, 07.08.2003

Posen, 03.08.2003, WPROST, poln., Krystyna Grzybowska

Die in Deutschland regierenden Linken haben mit ihrer Feinfühligkeit aufgehört. Ihre Vertreter sagen direkt: »Die Deutschen haben das Recht, ihre eigene Geschichte neu zu betrachten, zu der auch Leid und Unrecht gehören, das ihnen von den Polen, Tschechen und anderen Nationen zugefügt wurde.«

In der deutschen Politik kam in letzter Zeit etwas mehr zum Vorschein als nur die reine Sorge um die Vertriebenen. Es ist ein gewisses Verständnis in Bezug auf die territorialen Ressentiments aufgetreten, und zwar sogar bei Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem deutschen Außenminister Joschka Fischer. Bisher wird dies durch den verstärkten Druck auf Tschechien zum Ausdruck gebracht, die Benesch-Dekrete zu annullieren.

Auf das, was dann noch passieren könnte, weist die Rede des Außenministers Wlodzimierz Cimoszewicz vor dem polnischen Sejm am 24. Juli hin: »Es ist nicht auszuschließen, dass nach dem Beitritt Polens zur EU die Landsmannschaften der vertriebenen Deutschen versuchen werden, Ansprüche auf die polnischen Westgebiete zu erheben. Diese Versuche werden jedoch wirkungslos bleiben, und dies ist völlig offensichtlich... Der polnischen Regierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die offizielle deutsche Regierung etwas damit zu tun hätte.«

Sind wir aber wirklich so sicher? Sind die hervorragenden Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, die von Schröder und (dem polnischen Premier) Miller hervorgehoben werden, nicht nur reine Propaganda?

Von dem Zustand der polnisch-deutschen Beziehungen hing schon immer die Bedeutung des Vertriebenenverbandes ab. Je besser die Beziehungen waren, desto geringer war die Bedeutung des Vertriebenenverbandes. Seine Position wurde stärker, wenn sich die polnisch-deutschen Beziehungen verschlechterten. Um den Bund der Vertriebenen ist es jedoch heute besser bestellt als je zuvor.

Erika Steinbach, die Vorsitzende des Vertriebenenverbandes, hatte niemals Feinfühligkeit vorgespielt. Bisher äußerte sie kein Bedauern wegen der Verbrechen, die von den Deutschen an Juden, Polen, Roma, Slowaken und anderen Nationen begangen wurden. Ihr beharrlicher Kampf um einen Auftritt auf der politischen Bühne bringt erste Früchte. Noch vor kurzem war man der Meinung, dass der Vertriebenenverband eine der vielen gemeinnützigen Organisationen sei, die sich auf die Pflege der Tradition und Kultur konzentriert, die von der alten Heimat überliefert wurden. (...)

Zu dem Vertriebenenverband gehören neben der Landsmannschaft der Schlesier und der Landmannschaft der Sudetendeutschen auch exotische Organisationen wie z. B. die Landsmannschaften der Schwaben aus Wolhynien. (...) Jeder, der sich während der Nazizeit nur einen Moment außerhalb des Gebietes der heutigen Bundesrepublik Deutschland aufhielt und dann zurückkehrte, verfügt über den Status eines Vertriebenen. Joschka Fischer hat demnach den Status eines Vertriebenen aus Ungarn. Nach der deutschen Interpretation können sogar sowohl der Sohn des Gouverneurs Hans Frank als auch die Kinder der Belegschaft von Auschwitz als Vertriebene anerkannt werden. Auf diese Weise wurde auch selbst Erika Steinbach als Vertriebene anerkannt, deren Vater einige Jahre im Gebiet der polnischen Region Pomorze (Pommern) diente. Aus diesem Grunde sprach Erika Steinbach von 30 Millionen Vertriebenen. Dann korrigierte sie sich etwas und spricht heute von 14 Millionen.

Niemand verneint die Tatsache, dass die Vertreibung und gewaltsame Aussiedlung aus der Heimat, und zwar egal wo dies geschieht, scharf verurteilt werden müssen. Die Sünde der deutschen Interpretation resultiert aber aus dem Verwischen des Unterschiedes zwischen einer Vertreibung, einer Flucht und einem Umzug. Das ist eine Fälschung und Biegung der Fakten. Es gab keine Bierut-Dekrete, auf die sich manche Aktivisten der Landsmannschaften berufen.

Die Vertreibung der Deutschen, die es nicht geschafft hatten, vor der Roten Armee zu flüchten, wurde von den sowjetischen Militärbehörden verordnet und von den Siegermächten in Potsdam bestätigt. Diese Entscheidungen wurden jedoch niemals rücksichtslos und konsequent umgesetzt. Wenn es so wäre, gäbe es heute keine deutsche Minderheit in Polen sowie deren Vertretung im Sejm. Weder die Flüchtlinge und Aussiedler noch die falschen Deutschen, die in der Zeit des Kommunismus in die Bundesrepublik Deutschland gelangten und denen die deutsche Staatsanghörigkeit zuerkannt wurde, nachdem sie sich beim Vertriebenenverband registriert hatten, sind Vertriebene.

Die Politiker der Parteien in Deutschland, die heute an der Macht sind, sind sich dessen bewusst, dass der Geist der Forderungen des Vertriebenenverbandes im Konflikt und zwar sowohl mit der Idee des vereinten Europas als auch mit den bilateralen Verträgen steht. Die polnisch-deutschen Verträge von 1990 schließen eine Rückgabe der Güter aus. Anders gesagt, die deutsche Regierung verzichtete im Namen der Vertriebenen auf ihre Forderungen. In der Praxis bedeutet es also, dass die deutsche Regierung die Aufgabe übernommen hat, diese Forderungen zu begleichen. Die Regierungen sagen dies aber nicht direkt und belügen die Vertriebenen, um eine Welle von Prozessen zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund findet die Diskussion über das neue Bewusstsein der Deutschen statt, die endlich mit der Selbstgeißelung aufhören sollten, weil sie als Volk genauso leiden mussten wie die Anderen und jetzt dafür Denkmäler verdient haben. Die neue deutsche Interpretation des Krieges und seiner Folgen beweist einen Verlust an Sensibilität, und zwar sowohl im menschlichen als auch im politischen Sinne. Das Leiden des Verursachers und das Leiden des Opfers können niemals moralisch gleichgestellt werden.

Ich gehöre zu den vielen Millionen Polen, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten. Auch ich wurde vertrieben! Meine Eltern und Großeltern hatten - ähnlich wie viele Polen - ihr Eigentum verloren und zwar unwiderruflich. Vielleicht wird das jemand in Deutschland endlich direkt sagen, ohne sich um die politische Korrektheit zu bemühen, dass wir dieses den Deutschen und deren verbrecherischen Abkommen mit den Sowjets zu verdanken haben, das im Endeffekt die Änderung der Karte Europas zur Folge hatte. Wir verlangen nicht die Rückgabe unserer Güter von den Litauern, den Ukrainern oder den Weißrussen. Wir freuen uns darüber, dass sie ihre Souveränität erlangten und in Freiheit leben können. Mir ist nicht aufgefallen, dass die deutschen Vertriebenen ihre Freude darüber äußern, dass Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangte. Sie nutzen die Demokratie in unserem Land dazu aus, Forderungen zu stellen und zu versuchen, Entschädigungen zu erpressen.

Ich habe eine Idee: Wir Polen sollten auf jegliche Forderungen gegen die ehemalige Sowjetunion zu Gunsten der deutschen Vertriebenen verzichten, und zwar im Rahmen der Wiedergutmachung. Erika Steinbach soll sich mit ihrem Anliegen direkt an den Kreml wenden. Es wäre interessant zu erfahren, wie dies enden würde. Moskau wird sich jedoch sicherlich nicht politisch korrekt verhalten. (...) (Sta)