Der Tagesspiegel • 03.06.2010
[…] Und wiewohl die aktuellen Interviews mit dem Jubilar nicht sehr ergiebig waren, sie mitunter Vorführungscharakter hatten, gerade im Hinblick auf Erinnerungslücken und das Unglück des Alters überhaupt, so spürte man doch das Bemühen, das Phänomen Reich-Ranicki noch einmal vis-à-vis zu ergründen. Und zu verstehen, wie es für den 1920 im polnischen Włocławek als Sohn eines polnischen Juden und einer deutschen Jüdin geborenen Marcel Reich-Ranicki möglich war, sich sein Leben lang mit der deutschen Literatur zu beschäftigen, nach allem, was ihm und seinen Angehörigen im Deutschland der Nazizeit widerfahren war; und dann in diesem Land auch zu leben und zum größten, mächtigsten Literaturkritiker zu werden, nachdem er 1958 vor den polnischen Kommunisten nach Frankfurt am Main geflohen war und »wieder einmal nichts, gar nichts« hatte, wie er in mein leben schreibt, »– nur dieses unsichtbare Gepäck, die Literatur, die deutsche zumal«. […]
- Der Mann aus Büchern
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