Rezension | Ein lesenswertes Experiment: Zwölf Bände über »Die Deutschen und ihre Nachbarn«
Rolf Brockschmidt

Der Tagesspiegel • 08.03.2010

[…] »Kein Nachbarland ist den Deutschen so nah und so fern wie Tschechien«, beginnt der Literaturwissenschaftler und Herausgeber der 33-bändigen tschechischen bibliothek Hans Dieter Zimmermann seinen jüngst erschienenen Band. Tschechien teilt nicht nur die längste Grenze mit uns, sondern kann auf eine mehr als 800-jährige gemeinsame Geschichte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verweisen. Im Gedächtnis der Deutschen, im politischen Disput tauchen aber eher die Sudetendeutschen auf und die Diskussionen über die Vertreibungen. Was davor war, verschwindet im Nebel der Geschichte. […]

Die russische Exklave Kaliningrad ist nicht größer als Schleswig-Holstein. Mit russischen Maßstäben gemessen, ist das sehr klein. Und doch ist das frühere nördliche Ostpreußen zwischen Memel und Frischem Haff zum Dreh- und Angelpunkt der deutsch-russischen Beziehungen geworden. Die Geographie mag eine Ursache dafür sein. Schließlich ist Kaliningrad nur 600 Kilometer von Berlin entfernt. Nach Moskau ist des doppelt so weit.

Wichtiger aber ist die rasante Entwicklung, die die westlichste Provinz Russlands in den vergangenen 20 Jahren genommen hat. Vom isolierten militärischen Sperrgebiet zu einer der am schnellsten wachsenden Regionen Europas. Mehr als 350 deutsche Firmen haben sich hier niedergelassen. In der deutsch-russischen Handelsstatistik liegt Kaliningrad hinter Moskau und St. Petersburg bereits auf Platz drei.

Die gemeinsame Geschichte war lange ein Tabuthema. Meist wurde sie reduziert auf den Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion. Inzwischen haben die Kaliningrader das Erbe der Königsberger angenommen. »Die Zeit der Zerstörung von Kulturdenkmälern ist ein für allemal vorüber«, sagt Gouverneur Boos in unserem Film und verspricht sogar den Wiederaufbau des zerstörten Stadtschlosses.

Symbol dieser neuen Haltung zum deutschen Erbe ist der wiederaufgebaute Dom. Die Stadtverwaltung wollte ihn ursprünglich dem Erdboden gleichmachen. Heute gilt Ministerpräsident Putin als wichtigster Förderer des Domprojektes. Ein Drittel des Geldes für den Wiederaufbau, die große Uhr und die neue Orgel stammen übrigens aus Deutschland.

  • Um uns herum

    Der gesamte Artikel in der Online-Ausgabe des tagesspiegel