Frankfurter Allgemeine Zeitung • 09.11.2009
[…] Seit dem Fall der Berliner Mauer sind neue monoethnische Konfetti auf der europäischen Landkarte aufgetaucht. Ein jedes präsentiert stolz seine Hymne und Flagge, sein Handynetz und seine Fußballnationalmannschaft. In Tallinn feiert man regionale Barden in mittelalterlichen Gasthöfen. Aus Pressburg, einst slowakisch und ungarisch, jüdisch und deutsch, wurde Bratislava, die bukolische, aber provinzielle Hauptstadt der Slowakei. In Prag werden T-Shirts, Tassen und alles nur Erdenkliche mit Porträts von Kafka bedruckt, aber es gibt in dieser Stadt seit langem keine oder kaum noch Juden oder Deutsche, nur Friedhöfe und Synagogen, in denen die Namen der Toten in Stein gemeißelt sind. In Czernowitz, Celans altem Jerusalem an der Pruth, diesem Schmuckkästchen des europäischen Grenzlandes, hat man das Gefühl, durch eine prächtige Theaterkulisse zu spazieren, dessen ursprüngliche Akteure jedoch die Bühne verlassen haben und von Darstellern der zweiten oder dritten Zone ersetzt wurden, die der Zufall, je nach Laune der Geschichte, dorthin verschlagen hat. Überall Porträts von Franz Joseph, Kalender mit Sissi-Bildern, Habsburger Kitsch, Karpfen nach jüdischer Art: Touristenattrappen. »1989 waren wir sehr naiv. Wir wollten einen Mythos wieder aufleben lassen, der seit langer Zeit verschwunden war«, sagt Magris. […]
- Was wurde eigentlich aus der Euphorie?
Der gesamte Artikel in der Online-Ausgabe der f.a.z.