Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 17.07.2003, Rafal Geremek
Posen, 13.7.2003, WPROST, poln.
»Wir Polen mögen klare Situationen und schätzen feste Charaktere. Aus diesem Grunde schätzen wir auch die ehrlichen Tschechen und Deutschen, können aber keine Zwischentypen leiden«, sagte im Jahre 1934 der damalige Woiwode von Schlesien, Michal Grazynski. Er stammte aus der Region Malopolska und die »Schlesische Nationalität« war für ihn ein noch fremderer Begriff als die Nationalität der Bergbewohner. Viele Polen, die gegenwärtig in unserm Land leben und in einem ethnisch homogenen Staat aufgewachsen sind, vertreten eine ähnliche Meinung. Aber die 173 000 Bewohner von Schlesien, die sich bei der letzten Volkszählung zur Schlesischen Nationalität bekannt haben, wollten gegen den Niedergang dieser Region protestieren. Viele träumen von der Rückkehr zur Vorkriegszeit, als Schlesien Autonomie genoss und sogar über ein eigenes Parlament verfügte.
In der letzen Woche fand vor der Großen Kammer des Internationalen Gerichtshofes in Straßburg eine Verhandlung wegen der Verweigerung der Registrierung des Verbandes der Bevölkerung Schlesischer Nationalität statt. Wenn das Urteil für die Schlesier positiv ausfallen sollte, könnten sie nach den Parlamentswahlen auch ihre Vertreter im Sejm platzieren, ohne die Fünf-Prozent-Hürde zu beachten. Über dieses Privileg verfügen alle nationalen Minderheiten in Polen seit dem Jahr 1993. Dies geschah hauptsächlich dank der Bemühungen von Jacek Kuron. Auf diese Weise sollten die Rechte der polnischen Minderheiten im Osten gewährt werden, was sich natürlich als völlig illusorisch erwies.
Trotz der Existenz dieser Privilegien für nationale Minderheiten wurden sie nur von der deutschen Minderheit in Anspruch genommen, die normalerweise zwei Abgeordnete im Sejm platziert. Die Ukrainer und Weißrussen, die nicht als offizielle Vertreter einer Minderheit an den Parlamentswahlen teilnahmen, haben immer verloren, es sei denn, sie wurden von den Parteien Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) oder Freiheitsunion (UW) unterstützt.
Auch wenn die Aktivisten der Bewegung für die Autonomie Schlesiens in Straßburg gewinnen sollten, wartet auf sie eine Überraschung in Form des Gesetzentwurfs über die nationalen Minderheiten. Dort wurden die Minderheiten in ethnische und nationale aufgeteilt. Zu der ersten Gruppe wurden alle nicht polnischen Minderheiten gezählt, die eigene Staaten haben, d. h. die Deutschen, die Ukrainer, die Weißrussen, die Litauer und die Tschechen. Dies bezieht sich jedoch nicht auf die in Polen lebenden Vietnamesen, weil es in diesem Gesetzesentwurf eine Bedingung gibt, die besagt, dass eine Nation sich mindestens hundert Jahre in Polen aufhalten muss. Andere nationale Gemeinschaften, die in Polen leben, werden als »ethnische Gruppen« bezeichnet und sie sind im polnischen Wahlrecht nicht einmal erwähnt.
Für diese Aufteilung stimmte vor allem die deutsche Minderheit, weil die Entstehung einer Schlesischen Nation vor allem für sie von Nachteil wäre. Noch vor kurzem behaupteten die polnischen Deutschen, dass es über 300 000 von ihnen in Polen gebe. Die Volkszählung ergab jedoch, dass sich nur 153 000 Bürger Polens als Deutsche bezeichnen. Das war eine Niederlage für Henryk Kroll und für den von ihm geleiteten soziokulturellen Verband der Deutschen Minderheit in der Region Opole (Oppeln). Dieser Verband kann nicht mehr so umfangreich von der Bundesrepublik finanziell unterstützt werden, weil ihm die Hälfte der angeblichen Mitglieder verloren ging.
Auf die Frage, was mit dem fehlenden Teil der deutschen Minderheit geschehen ist, antwortete Henryk Kroll, dass ein Teil von ihnen saisonbedingt in Deutschland arbeitet oder wohnt. Ein anderer Teil aber hat sich zur Schlesischen Nationalität bekannt, »weil dies sicherer ist als Deutscher zu sein«. Diese Argumente klingen aber nicht besonders überzeugend, weil sich das Bekennen zum Deutschtum eher mit Privilegien und nicht mit Schikanen verbindet.
Aus den Angaben des Institutes für soziologische Untersuchungen in Katowice (Kattowitz) geht hervor, dass sich als Schlesier 12,5 Prozent der Bevölkerung Schlesiens bezeichnen, wobei die Mehrheit mittelalte und ältere Menschen sind. Im Falle der älteren Personen spielen die Ressentiments eine große Rolle. In der Zeit der Volksrepublik Polen wurden die Schlesier als exotische Einheimische behandelt. Außer den politischen Repressalien wurde auch die schlesische Identität angegriffen, indem z. B. die Änderung von deutsch klingenden Namen verordnet wurde. »In den Städten hatten wir Angst unseren Dialekt zu sprechen. Aber die Überzeugung, dass wir anders sind, war tief verwurzelt und jetzt gab es eine Gelegenheit, dies zum Ausdruck zu bringen« sagt Stafania Labaj, Autorin des Buches Schlesien, das Zeugnis der Zeit.
Die Behörden der Volksrepublik Polen veranstalteten zwar Akademien, um die schlesischen Aufstände zu ehren, aber die schlesische Identität wurde nur auf die Folklore begrenzt. Die Schlesier hielten nicht einmal die Tanz- und Gesangsgruppe »Sląsk« für ihre eigene, weil sie nicht auf schlesisch, sondern auf polnisch sang.
»Nach 1989 platzierten sich die Schlesier an der Seite der deutschen Minderheit, weil in der Kultur unserer Nachbarn auch ein Teil ihrer eigenen Identität verankert ist. Sie wissen jedoch genau, dass sie keine Deutschen sind. Aus diesem Grunde versuchen sie jetzt, sich selbständig als Schlesier zu definieren«, sagt Adam Bartoszek, ein Soziologe von der Schlesischen Universität.
Die nationale Identität ist aber nicht mit Separatismus gleichzustellen. In Tschechien bezeichnen sich 20 Prozent der Bevölkerung als Mährer und vier Prozent als Schlesier. Dort wird jedoch daraus kein politisches Problem gemacht. Das schlesische Aufwachen kann sogar die nationale Identität der Schlesier positiv beeinflussen.
Vor sechs Jahren, als die Idee der Schlesischen Nationalität geboren wurde, wurden die Redaktionen der schlesischen Zeitungen mit Briefen von enthusiastisch eingestellten Lesern überflutet. Manche von ihnen, die nach Deutschland ausgereist sind, deklarierten sogar ihre Rückkehr nach Schlesien: »In Polen wurde ich als Schwabe beschimpft und in Deutschland als Polack. Jetzt kann ich endlich ich selbst sein«, erzählen oft die Immigranten. (...) (Sta)