Jochen Welt, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, besucht Deutsche in Kasachstan

Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 24.07.2003, Victor Weitz

Köln, 25.7.2003, DW-radio / Russisch

Frage: Herr Welt, Sie sind zurzeit in der alten Hauptstadt Kasachstans in Almaty. Was ist das Ziel Ihrer Reise?

Jochen Welt: Wir, die Bundesregierung, haben nachhaltig Interesse and der Entwicklung und am Schicksal der Deutschen und wir wollen sie auch in ihrem Bemühen um ihre eigene Selbstständigkeit hier unterstützen. Ich denke das ist ein ganz wichtiges Signal. Das zweite ist, dass wir in den vergangenen Jahren Hilfepolitik und Bleibehilfe geleistet haben und dass wir schauen wollen, inwieweit diese Politik nun Wirkung zeigt und inwieweit die deutschen Steuergelder, die dort investiert worden sind, auch gut investiert sind.

Frage: Wie geht es den Deutschen in Kasachstan insgesamt? Ist ihre Lage mit der in Russland vergleichbar? Wie schätzen Sie sie ein?

Jochen Welt: Ich will sie nicht ganz vergleichen. Da gibt es schon noch Unterschiede. Insgesamt muss man, glaube ich, in allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit jeweiligen regionalen Unterschieden feststellen, dass sich die Lage in den letzten Jahren stückweit verbessert hat. Das kann man nicht pauschalieren. Es gibt viele sehr dramatische Einzelschicksale, insbesondere der älteren Menschen. Wir machen gleich einige Besuche bei ehemalige Rotarmisten. Das sind alte Menschen, die immens gelitten haben und denen es heute unheimlich schlecht geht. Das macht auch deutlich, dass unsere Hilfe nach wie vor noch notwendig ist, gerade für diese Personengruppe, aber auch für den anderen Teil der Bevölkerung, bei dem wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten, überwiegend berufliche Fortbildung und Qualifizierung. Uns geht es darum, dass die Menschen in der Lage sind, ihr eigenes zukünftiges Schicksal selbst zu gestalten, und da bietet eine Berufsausbildung eben eine gute Voraussetzung.

Frage: Wird in Kasachstan noch Deutsch gesprochen? Was macht die deutsche Regierung für die Deutschen, die in Kasachstan bleiben möchten?

Jochen Welt: Ich habe mich die ganze Zeit hier in Deutsch unterhalten. Wir haben in den letzten Jahren sehr stark in die deutsche Sprache investiert. Das hat ja zwei Richtungen. Einmal in die Richtung, dass eine deutsche Minderheit die Sprache und die eigene Identität erhält, und das wollen wir hier ihnen auch mit auf den Weg in die Zukunft geben. Das andere ist natürlich, dass bei diejenigen, die sich entscheiden, nach Deutschland zu kommen, auch die deutschen Sprachkenntnisse besser werden. Deswegen sind in den letzten Jahren die Sprachfördermaßnahmen auch enorm ausgeweitet worden. Das wollen wir auch in diesem Jahr machen.

Frage: Sie haben ein ausführliches Gespräch mit den deutschen Unternehmern in Kasachstan geführt. Werden die Geschäftsleute von Deutschland aus unterstützt? Gibt es Programme für eine erfolgreiche Zusammenarbeit?

Jochen Welt: Es gibt inzwischen wesentlich mehr Selbstständigkeit und unternehmerische Tätigkeit unter den Deutschstämmigen hier, sowohl in Pawlodar, aber auch in Almaty und anderen Regionen Kasachstans. Wir haben uns mit Unternehmern getroffen und haben uns über Zukunftsperspektiven und natürlich auch über Probleme unterhalten. Es schälen sich eigentlich zwei wesentliche Punkte heraus. Der erste ist, dass wir auch da im Sinne von Qualifizierung mithelfen wollen, dass diese Unternehmen zukunftsfähig sind, dass sie fit sind, dass wir mithelfen wollen bei der Mitarbeiterqualifizierung. Es gibt inzwischen sehr viele Unternehmen, die von ehemaligen Deutschen aus Kasachstan in Deutschland gegründet worden sind und die gute Geschäftsbeziehungen haben. Diese jetzt miteinander zu verknüpfen, denke ich, wäre eine sehr sinnvolle Arbeit. Daran arbeitet jetzt die Wiedergeburt in Kasachstan. Wir wollen dies im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen.

Frage: Gibt es in Kasachstan auch Orte, wo Deutsche kompakt leben, wo die Hilfe direkt ankommt, oder wird sie so verteilt, dass man sie nicht richtig kontrollieren kann?

Jochen Welt: Bei den »Wiedergeburt«-Gesellschaften wird schon eine Kontrolle jeweils realisiert. Bei der Ausbildung, bei der Fortbildung und Qualifizierung sehen wir ja, welche Schüler in den jeweiligen Kursen und Maßnahmen sind, für die dann eben Hilfen geleistet werden. Bei den Winterhilfen können wir auch alles nachvollziehen. Bei den humanitären und medizinischen Hilfen ebenso. Also, da gibt es schon eine sehr, sehr effektive Kontrolle, aber das was Sie gerade ansprechen, ist eigentlich ein anderer Punkt. Man muss ja wissen, dass die Zahl der Deutschen in Kasachstan fast auf ein Viertel zurückgegangen ist. Das heißt, dass es diese großen kompakten Siedlungen nicht mehr gibt. Es gibt heute noch Siedlungsbereiche, Dörfer und kleine Gemeinden, wo der Anteil bei 30, 35, 40 Prozent liegt. Das ist aber auch schon sehr, sehr viel. Ansonsten gibt es eine relativ breite Streuung.

Frage: Welche Chancen haben diejenigen, die nach Deutschland ausreisen wollen?

Jochen Welt: Wir haben ja nach wie vor auch mit dem hoffentlich bald vollziehenden Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes die pauschale Anerkennung des Kriegsfolgenschicksals. Das gilt auch für die Deutschen hier in Kasachstan. Also jeder, der vor 1993 geboren ist, hat die Chance, einen solchen Antrag zu stellen, wenn er nachweist, dass er als Deutscher dort gelebt hat, dort eingetragen war als Deutscher und wenn er die deutsche Sprache muttersprachlich erworben hat. Also, da hat sich nichts verändert. Es hat sich, wie ich es schon ganz zu Anfang einmal gesagt habe, geändert, dass die deutsche Sprachfähigkeit nachgelassen hat. Eben deswegen bestehen so viele den Sprachtest nicht mehr und das reduziert natürlich auch die Zahlen der nach Deutschland Kommenden und das reduziert auch schon die Antragszahlen, weil viele von sich aus gleich den Eindruck haben, dass es für sie sich dann auch nicht mehr lohnt, einen solchen Antragsweg zu gehen. Aber es gibt, und das muss man auch sagen, inzwischen auch wie bei den Unternehmern, bei vielen inzwischen mit handwerklichen Berufen ausgestatteten Leuten die klare Perspektive, dass die lieber im Lande bleiben als nach Deutschland zu gehen.

Frage: Haben Sie die Stimmung auch mitbekommen, dass viele Deutsche auch dableiben wollen?

Jochen Welt: Ja, es ist eben stärker als früher. Ich würde es nicht pauschalieren. Wir hatten ja im Monat Juli knapp über 3000 Anträge aus dem ganzen Bereich der ehemaligen Sowjetunion, den historisch niedrigsten Stand an Antragszahlen, den wir je hatten.

Frage: Wo waren Sie jetzt und wo fahren Sie noch hin?

Jochen Welt: Wir kommen von Barnaul. In Barnaul, in Sibirien im Altaj, haben wir das Deutsch-Russische Haus eröffnet, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen der russischen Zentralregierung, dem Gebiet Altaj und der Bundesregierung. Wir haben danach die Siedlung Halbstadt, den deutschnationalen Rayon, besucht, sind dann weiter nach Pawlodar, hatten dort die ersten Kontakte und haben dort eine von einem Deutschen geleitete private Universität besucht. Also, auch ein Projekt unternehmerischen Engagements von Deutschen aus Kasachstan für Kasachstan. Jetzt sind wir in Almaty. Wir haben gestern das Gespräch mit den Unternehmern gehabt und Nachmittags Betriebsbesuche gemacht, ein Jugend-Feriensprachlager sehen können, an einer schönen Feier dort teilgenommen und gehen heute Nachmittag noch zu einigen Familien von Rotarmisten. Ja, dann ist die Abreise schon wieder da.

(Interview: Victor Weitz) (MO)