Sankt Petersburg als Drehscheibe eines aussergewöhnlichen Kulturtransfers
Felix Philipp Ingold

Neue Zürcher Zeitung • 04.07.2008

[…] Schon lange vor der »Europäisierung« hatten Ausländer unterschiedlichster Herkunft im Zarenreich Beschäftigung und eine neue Heimat gefunden. Dass man die Zuwanderer meist pauschal als »Nemzy« (Deutsche) bezeichnete, lässt darauf schließen, wie dominant der deutsche Anteil an der Immigration gewesen ist. Im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts nahm die Präsenz der Deutschen in der russischen Verwaltung, der Armee, den Wissenschaften und Künsten so markant zu, dass selbst der umsichtige Historiker Sergei Solowjow sich dazu veranlasst sah, von einem »Germanenjoch« zu sprechen. Sogar das Herrscherhaus der Romanow war zuletzt, als Folge langfristiger heiratspolitischer Vorkehrungen, vollständig »eingedeutscht«. In den Akten einer internationalen Tagung der Universität Potsdam (in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum – Anm. d. Red.) zum deutsch-russischen Kulturtransfer (sankt petersburg: der akkurate deutsche, Verlag Peter Lang, Bern 2007) finden sich diverse Beiträge – Übersichtsdarstellungen wie auch Einzeluntersuchungen –, die den deutschen Einfluss auf das Kunst- und Geistesleben Russlands durch umfängliches Beispielmaterial belegen. […]