Deutscher Sponsor und Russische Regierung feiern Abschluss der Rekonstruktionsarbeiten in St. Petersburg
Deutsche Welle – Monitor Ost- / Südosteuropa, 19.05.2003

Von Stefan Dege

Es klingt wie ein modernes Märchen. Ist auch eins: Der Schatz ist verschwunden. Da kommt ein Reicher. Dank seiner Großzügigkeit entsteht der Schatz neu.
Seit Dienstag glänzt er wieder. Und zwar in Zarskoje Selo, im Sommerpalast der Zarin Katharina. Der Schatz, das ist das Bernsteinzimmer oder besser: seine Rekonstruktion. Die Ruhrgas AG in Essen, nach eigenen Angaben der größte deutsche Importeur von russischem Erdgas, hat aus Anlass seines 75-jährigen Firmenjubiläums 2001 sein kulturelles Engagement gekrönt - und 3,5 Millionen US-Dollar für die originalgetreue Wiederherstellung des Bernsteinzimmers bereitgestellt.

Ende des Monats wollen der russische Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder das »achte Weltwunder« am Rande des G-8-Gipfels feierlich neu eröffnen. Zeitpunkt und Ort sind übrigens nicht zufällig gewählt: St. Petersburg, die Heimatstadt Putins, feiert in diesen Tagen 300. Jubiläum. Da wird die Stadt mit viel Geld herausgeputzt. Da häufen sich die Kulturveranstaltungen. Und da kommt so ein Glanzpunkt wie das Bernsteinzimmer natürlich wie gerufen.

Am diesen Dienstag setzte sich schon mal der Sponsor, die Ruhrgas, in Pose, flankiert vom russischen Kulturminister Michail Schwydkoj und seinem Stellvertreter Choroschilow. Ruhrgas-Chef Achim Middelschulte gab sich zufrieden. Zu Recht: Middelschultes Sponsoring-Idee gilt gemeinhin als genialer Coup. Und längst nicht nur in Wirtschaftskreisen, wo man neidisch auf den enormen Imagegewinn des Ruhrgas-Konzerns blickt, der inzwischen bekanntlich zum Energieversorger E.On gehört. Achim Middelschulte erklärte:

»Ruhrgas wollte ein positives Zeichen für die deutsch-russischen Beziehungen setzen. Das Bernsteinzimmer wurde einst dem russischen Zaren vom preußischen König in Freundschaft geschenkt, dann von den Nationalsozialisten im Krieg geraubt und nun als Nachbildung wieder in Freundschaft an Russland zurück gegeben.«

Stolz gab sich auch Iwan Sautow, der Direktor des Staatlichen Museums Zarskoje Selo. Boris Igadalow war da, der Leiter der Bernstein-Werkstatt. Unter seiner künstlerischen Leitung haben mehr als 50 Bernstein-Schneidemeister gut 20 Jahre lang tagein, tagaus daran gearbeitet, das »achte Weltwunder« wiedererstehen zu lassen. Kein leichter Job: Es gab einige vergilbte Schwarz-Fotos, die man als Vorlagen benutzen konnte. Viel wissenschaftliche Vorarbeit musste geleistet, Literatur studiert werden, bevor die Bernsteinschneider in z.T. aufwendiger Handarbeit, die viel Ähnlichkeit mit der von Zahnärzten hat, überhaupt ans Werk gehen konnten. Nun ist es vollbracht. Vor einigen Tagen haben Igdalow und Kollegen das letzte Bernstein-besetzte Paneel aufgehängt. Die Bernsteinwerkstatt muss sich nach neuer Arbeit umsehen.

Denn eigentlich ist Bernstein völlig aus der Mode. Es ist kein Edel- nicht einmal ein Halbedelstein, kein Mineral, sondern uraltes, versteinertes Baumharz, das über das Wasser der Ostsee angeschwemmt wurde. Man kann es in Platten schneiden, polieren. Je nach Zusätzen oder Erwärmung verändert es seine Farbe, so dass die entstehende Farbpalette sehr breit ist Sie changiert von hellgelb bis ocker, über gold- bis tiefbraun. Entsprechend beleuchtet – im Widerschein von Kerzen etwa –, wirkt das beeindruckend. So entstand das Wort vom »Gold der Ostsee«, vom »achten Weltwunder«. Aber das sind historische Bezeichnungen. Wer vor 250 Jahren zum festlichen Empfang in Zarskoje Selo geladen war, in all dem höfischen Prunk und der Pracht der zaristischen Sommerresidenz von Katharina II., der musste ja staunen.

Staunen machte am Dienstag der Auftritt des russischen Kulturministers Michail Schwydkoj. Er verlieh dem Geschehnis eine kulturpolitische Note. Der Rückblick in die Geschichte zeigt: zweimal schon hat das Bernsteinzimmer große politische Bedeutung gezeitigt: Zum einen 1716, als Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. das Bernsteinkabinett dem russischen Zar Peter I. schenkte. Und dann, als es durch den Raub der Nazis 1944 zur »Beutekunst« wurde. Das Kapitel lastet bis heute auf den deutsch-russischen Beziehungen: 4,6 Millionen Bücher, 174.000 Archiv-Stücke und mehr als eine Million Kunstobjekte – von der siegreichen Roten Armee aus Deutschland abtransportiert – warten in russischen Depots auf ihre Rückgabe an die ihre deutschen Besitzer.

Die Fronten in Sachen Beutekunst haben sich in den 90er Jahren verhärtet. Russland versteht seine Kunstbeute als berechtigte Kompensation für erlittenes Unrecht – und als nationales Eigentum. Deutschland beruft sich auf das Völkerrecht. Mit ihrem Sponsoring in Sachen Bernsteinzimmer wollte die Ruhrgas AG das Eis brechen und hat es auch. Die Beutekunst ist wieder Gesprächsthema. Und zumindest auf deutscher Seite gibt es die berechtigte Hoffnung, dass Putin und sein Kulturminister Michail Schwydkoj nach den russischen Parlamentswahlen im Dezember eine neue Gesetzesinitiative unternehmen, um die harte Haltung Moskaus aufzubrechen. (TS)