Essay: Literatur wirkt individualisierend, nicht sozialisierend. Sie bricht kollektive Identitäten auf
Leopold Federmair

Der Standard • 03.06.2005

Als ich neulich zwei kanonische Texte der so genannten österreichischen Literatur wieder las, war ich erstaunt. Erstaunt, wie wenig ich darin über ein österreichisches Wesen, österreichisches Geschichtsbewusstsein, habsburgische Mythen fand. Gewiss, das multinationale Habsburgerreich bildet den Horizont von Stifters Witiko, der als historischer Roman vor der Herrschaft der Habsburger spielt, und Grillparzers Bruderzwist in Habsburg zielt auf einen Untergang, der Mitte des 19. Jahrhunderts schon erahnbar war. Grillparzer, skeptischer Wiener Griesgram. Stifter, zwanghaft optimistischer Böhmerwaldbub. Da haben wir schon zwei von unseren Typen. […]