Der Philosoph Jürgen Habermas über rückgratlose Politik in Deutschland, die heilende Kraft der Erinnerung und den neuen Papst
Adam Krzemiński

Die Welt • 04.05.3005

[…]
Die Welt: Der heftige Streit um das Zentrum gegen Vertreibungen zeigt, dass der Wettlauf der nationalen Leiden in Europa weiterhin im Gange ist, und die Europäer Schwierigkeiten haben, gemeinsame Geschichtserzählungen zu (er)finden. Der Holocaust jedenfalls scheint dabei als Gründungsmythos des vereinten Europa nicht auszureichen.
Habermas: Der Bezugspunkt des Historikerstreites war die eigene Nation, das eigene nationale Selbstverständnis. Der Holocaust ist nach wie vor konstitutiv für das Selbstverständnis der Bürger der Bundesrepublik. Gewiss, seit der Wiedervereinigung mit der DDR, die noch einmal ein Stück Spätstalinismus ins ohnehin schwer belastete nationale Erbe eingebracht hat, sind wir mit einer »doppelten Vergangenheit« konfrontiert. Das hat an der gemeinsamen Haftung der Deutschen für den Holocaust nichts geändert. […]